NSU-Prozess in München: Eine schrecklich nette Familie
Das Ehepaar Eminger hatte eine besonders enge Beziehung zum NSU-Trio. Nun sitzt André Eminger auf der Anklagebank und gibt sich unbeeindruckt.
MÜNCHEN taz | Sie sind bester Laune. Schauen nach vorne zur Bühne beim Neuplanitzer Teichfest. Lächelnd verfolgen Susann Eminger und Beate Zschäpe das Geschehen auf dem Volksfest in Zwickau. Die zwei Kinder von Susann sind auch mit dabei an diesem 24. September 2011. Zschäpe grinst, ist ausgelassen, sie hat offenbar keine Sorge, entdeckt zu werden. Nicht einmal fotografiert zu werden, stört sie.
In der Stadtzeitung Der Planitzer findet sich eine Großaufnahme der beiden Frauen inmitten des Festes. Das letzte gemeinsame Bild, keine zwei Monate später ruft Zschäpe Susanns Mann André an und bittet ihn, ihr bei der Flucht zu helfen.
Nun sitzt André Eminger im NSU-Verfahren auf der Anklagebank. Oft sieht man den kräftigen untersetzten Mann zu Fuß zum Münchner Justizpalast angeschlendert kommen. Er bemüht sich um Lässigkeit, wenn er im Saal A 101 des Oberlandesgerichts Platz nimmt, mit Sonnenbrille und zurückgegelten Haaren. Schon seit dem ersten Verhandlungstag am 6. Mai stellt der 33-Jährige, auf dessen Oberköper „Die Jew die“ (Stirb, Jude, stirb) eintätowiert steht, zur Schau, wie unbeteiligt und unbeeindruckt er von dem Mammutprozess ist. Liest Bikermagazine, schaut in sein Notebook.
Union und SPD verhandeln über Mindestlohn und Rente. Aber wovon hängt es ab, ob sich jemand arm fühlt? Nur vom Geld? Vier Begegnungen an den Grenzen der Armut lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. November 2013 . Darin außerdem: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ übernehmen, sagt der Historiker Hanns C. Löhr. Und der sonntaz-Streit: Der neue iranische Präsident Rohani gilt als verhandlungsbereit. Kann man dem Iran trauen? Nein, sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Sein Verteidiger Herbert Hedrich stellte unlängst den Antrag, seinem Mandanten zu gestatten, der Hauptverhandlung fernzubleiben, solange keine Beweiskomplexe verhandelt würden, die ihn beträfen.
Längst aber ist klar: Eminger hatte ein Vertrauensverhältnis zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe. Seine Wohnung und die des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße trennten keine 8 Kilometer. Niemand, auch kein Mitangeklagter stand den dreien so nah – bis zum Ende am 4. November 2011.
Sechs Monate Untersuchungshaft
Wie sich im Prozess herausgestellt hat, war Eminger auch die zentrale Figur, als Zschäpe an jenem Freitag versuchte, ein zweites Mal unterzutauchen. In Eisenach waren am Mittag Böhnhardt und Mundlos tot in einem Wohnmobil aufgefunden worden; sie hatte die gemeinsame Wohnung in Brand gesteckt, als sie um 15.29 versuchte, Eminger zu erreichen. Mehrfach probierte sie seine Nummer. Als er endlich ans Telefon ging, dauerte das Gespräch nur 27 Sekunden. Dann bekam Susann von ihrem Mann eine SMS. Kurze Zeit später soll sie Zschäpe mit dem Wagen getroffen und ihr Kleidung für die Flucht übergeben haben.
Beihilfe zum Sprengstoffanschlag in der Kölner Altstadt 2001, Beihilfe zum Raub und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung: das sind die Punkte der Anklage gegen André Eminger. Er ist nach sechs Monaten Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß.
Doch war sein Verhältnis zu der Zwickauer Zelle tatsächlich so distanziert, wie der Beschuldigte glauben zu machen versucht? War er tatsächlich einer, der nur danebenstand? Nachdem sich der NSU-Prozess lange mit der Untersuchung der Mordfälle beschäftigt hat, untersucht das Gericht nun auch den Alltag der Terrortrios. Und da erscheint die Rolle der Emingers oft in neuem Licht.
Angeblich die Schwester
Im Saal A 101 sind nun die Anwohner Zeugen. Sie berichten, dass beide Emingers in der Frühlingsstraße ein und aus gingen. Regelmäßig am Donnertag besuchte Susann mit den Kindern „ihre“ Beate. Den Nachbarn wurde sie als Zschäpes Schwester vorgestellt. Im Brandschutt fanden Ermittler Spielzeug und ein Foto der beiden Frauen, Arm in Arm. Die freundschaftliche Nähe, der vermeintliche Familienanschluss verstärkten die Tarnung des Trios nur noch.
Detail um Detail des engen Verhältnisses kommt im Prozess heraus. Wenn die Nebenkläger nachfassen, werden die Fakten noch deutlicher. Am 44. Verhandlungstag legte eine Kriminalbeamtin dar, dass die Anmietung eines weißen Fiat Caravan im Dezember 2000 auf André Emingers Namen im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 stehe.
Bombe im Christstollen
Kurz nach der Anmietung sollen Mundlos und Böhnhardt eine in einer Christstollendose getarnte Bombe in einem Lebensmittelgeschäft platziert haben. Als der Sprengsatz Wochen später hochging, wurde die deutsch-iranische Tochter des Inhabers schwer verletzt. Alexander Hoffman, einer der Nebenkläger, merkte an: „Bei einer Anmietung wurde auf den Namen Eminger die Telefonnummer eines tatsächlich von diesem genutzten Mobilanschlusses angegeben, was dafür spricht, dass nicht nur dessen Ausweispapiere benutzt wurden, sondern er auch in direktem Kontakt stand.“
Wie eng der Kontakt war, belegen zudem Dateien, die auf einer der Festplatten des Trios gefunden wurden. Fotos von Susann als Schwangere und mit Baby, ein Weihnachtsgruß der Familie Eminger, verziert mit Hakenkreuzen, und eine Einladung zu einer Burgführung, darauf in Runenschrift „Sieg Heil“. Alles in einem Ordner namens „Bildermix“, in dem sich auch zwei alte Versionen des Bekennervideos des NSU sowie Tatortaufnahmen fanden, die als Material für den Film dienten.
Von Anbeginn stand André Eminger, ein gelernter Fachinformatiker, im Verdacht, den Paulchen-Panther-Film des NSU mitgestaltet zu haben. Im Prozess fragte Hoffman, ob zwei externe Festplatten von Eminger auch Inhalte des Ordners „Bildermix“ aufwiesen. Eine Polizeibeamtin antwortete dem Nebenkläger: „Der Inhalt ist komplett identisch.“ Ein Feststellung, so Hoffman, die nicht nur die Nähe Emingers zum NSU bestätigt. Aus seiner Sicht belegt dies auch Tatwissen und Tatunterstützung.
Im Saal A 101 schauen sich die langjährigen Freunde und Vertrauten kaum an. Beide haben hier nur eins gemein: Sie schweigen zu den Anschuldigungen.
In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de
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