Staffelstart von „Mord mit Aussicht“: Das Kaff zieht
Die ARD-Serie „Mord mit Aussicht“ ist das Gegenteil der amerikanischen Erfolgsserien. Zuschauer und Kritiker lieben sie trotzdem. Warum?
Die Polizei ist ihr dicht auf den Fersen. Ein Blick zurück, dann biegt die Verbrecherin um die Ecke. Die Verfolger verlieren ihre Spur. Die Kriminaloberkommissarin ordnet eine Großfahndung an: „Wir brauchen Straßensperren. Wir brauchen Hundestaffeln, Killerdrohnen …“ Moment mal. Es ist nicht so, dass die gesuchte Frau eine Terroristin wäre. Und überhaupt: Wo sollte sie sich hier schon groß verstecken?
Haben sich die Protagonisten nicht gerade durch nahezu menschenleere Straßen gejagt? Ist nicht ein Traktor durchs Bild getuckert und eine Oma mit Rollator im Zeitlupentempo durchs Bild geschlurft? Auf Nachfrage des Kollegen löst die Kommissarin ihre Anweisung trocken auf: „Nein, das ist nicht mein Ernst.“ Sie ermittelt schließlich in Hengasch.
Hengasch ist ein fiktives Dorf in der Eifel und der Schauplatz der ARD-Krimiserie „Mord mit Aussicht“, die nun mit 13 neuen Folgen in der dritten Staffel ausgestrahlt wird. Im Presseheft freut sich Programmdirektor Volker Herres über zuletzt „durchschnittlich 6,06 Millionen Zuschauer“, die das Format am Dienstag zur besten Sendezeit erreicht hat.
Dort gehört es neben den Nonnen von „Um Himmels Willen“, der Belegschaft der Sachsenklinik von „In aller Freundschaft“ und der im Leipziger Zoo praktizierenden „Tierärztin Dr. Mertens“, zu den Quotenrennern im Ersten.
Ab Dienstag, 09. September, 20.15 Uhr, ARD.
Kritikerliebling
Doch „Mord mit Aussicht“ ist anders als seine bräsigen Mitstreiter, die bei Kritikern höchstens als abschreckendes Beispiel genannt werden, wenn Vergleiche zum internationalen Serienniveau gezogen werden. Die Story um die ehrgeizige Kommissarin Sophie Haas, die von Köln aufs Land versetzt wird und am langweiligen Dorfleben zu verzweifeln droht, überzeugt auch Zuschauer, die bei Kategorien wie „Regional-“ oder „Schmunzelkrimi“ normalerweise abschalten.
So kommt es, dass Caroline Peters, die seit 2007 Kommissarin Haas spielt, in Interviews immer wieder erklären soll, was das Besondere der Serie ausmache. „Das wüsste ich selbst gerne, damit ich es auf andere Formate übertragen könnte“, antwortet sie und schiebt nach: „Wir haben viel darüber nachgedacht, was im Fernsehen gemacht wird, und haben versucht, einen eigenen Geschmack dagegenzusetzen.“
Mit „wir“ meint sie das Ensemble und die Regisseure von „Mord mit Aussicht“. „Das fällt im deutschen Fernsehen auf, wenn nicht alles nach irgendeiner Idee weichgespült ist, die sich danach richtet, was die Leute angeblich sehen wollen.“
Dass die Originalität nicht allein auf den Drehbüchern der Serienerfinderin Marie Reiners beruht, die bis 2010 die Vorlagen lieferte, wird deutlich, wenn man sie mit den Produktionen der Regionalkrimi-Reihe „Heiter bis tödlich“ für den ARD-Vorabend vergleicht. Denn hier wirken Reiners Geschichten eher fad. Selbst Volker Herres weist im Presseheft darauf hin, dass die Bücher „am Ende nur eine Steilvorlage und einen Spielplatz abgeben“.
Produzent Peter Güde konkretisiert: „Bei ’Mord mit Aussicht‘ kommen viele Einfälle von den Schauspielern selbst, und dadurch entsteht tatsächlich am Set noch viel Zusätzliches zur Buchvorlage.“
Schauspielerin am Burgtheater
Caroline Peters, die abseits der Serie selten im Fernsehen, dafür regelmäßig am Burgtheater in Wien zu sehen ist, legt großen Wert darauf, mit dem Ensemble an Texten zu arbeiten. „In deutschen Fernsehdrehbüchern stehen viele Dinge für Schnell- und Querleser, weil sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zig Gremien durchlaufen müssen und von vielen Leuten gelesen werden“, sagt sie.
„Da stehen oft Sätze in Dialogen, die man nicht wirklich sagen muss, weil die Auflösung im Bild eine andere ist als im Buch. Wir waren uns einig, dass wir solche Dinge herausstreichen, wenn wir sie entdecken. Sätze wie ’Ich gehe jetzt ans Telefon‘ muss man nicht aussprechen, wenn die Figur dabei ans Telefon geht.“
Es ist die Leidenschaft fürs Detail, der Wunsch nach exaktem Schauspielhandwerk, den sämtliche Darsteller von „Mord mit Aussicht“ teilen. Neben ihr schaffen es auch Kollegen wie Bjarne Mädel und Meike Droste, die Schrulligkeit ihrer Figuren nicht spöttisch zu überzeichnen, sondern ernst zu nehmen und mit einem feinen Gespür für Ambivalenzen sorgfältig zu verdichten.
Auch sonst hebt sich die Serie mit ihrem schwarzen Humor von gewohnten Darstellungen im TV ab. „Wenn das deutsche Fernsehen aufs Land geht, endet es immer sehr schnell im Märchen; beim Bergdoktor oder beim Landarzt“, sagt Produzent Güde. „Ich finde es schön, dass Dorf und Land hier auch einmal negativ dargestellt werden können, dieses Nervige, das Öde. Dadurch wird es dann auch lustig.“
Unbewegliches Privatleben
Es sind die Gegensätze der oft unerträglich-sturen Gemächlichkeit des Landlebens und der wachen und ungeduldigen Stadtfrau, die Zigaretten rauchend in ihrem roten BMW-Cabrio die dösige Dorfgemeinschaft aufmischt, dabei aber auch die Achillesferse ihres modernen Lebensentwurfs offenbart – ein recht unausgeglichenes Privatleben. So schafft es „Mord mit Aussicht“, eben nicht zur billigen Provinzposse zu verkommen.
Auch weil es sich abseits der Fälle Zeit nimmt, von den kleinen und größeren Dramen seiner schrägen Figuren zu erzählen. Tatsächlich durchströmt den Ort dadurch sogar ein Hauch der legendären US-Serie „Twin Peaks“.
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