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Offener Brief an die EU„Unsere Freiheit ist bedroht“

In der EU soll das Betriebsgeheimnis besser geschützt werden. Das stößt auf Kritik. Die taz dokumentiert einen Appell an die EU-Institutionen.

Geheimnisse müssen auch mal raus. Bild: photocase/Cydonna

Im November 2013 hat die Europäische Kommission einen Antrag für eine neue Richtlinie zum Betriebsgeheimnis vorgelegt. Der Rechtsausschuss im Europaparlament soll darüber im Mai abstimmen. Jedoch stellt der Entwurf den Profit multinationaler Konzerne sozialen und demokratischen Rechten und dem Umweltschutz voran und bedroht damit fundamentale Rechte.

Ziel der Richtlinie ist es angeblich eine gemeinsame Definition des Betriebsgeheimnisses zu finden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Wirtschaft und von Forschungseinrichtungen, die auf nicht öffentlichem Wissen und Unternehmensinformationen basieren, adäquat schützen zu können.

Jedoch enthält die geplante Richtlinie auch einige juristische Aspekte, die uns Sorgen bereiten. Zum einen ist die Definition von Betriebsgeheimnissen weit gefasst, vage und umfasst alle vertraulichen Informationen. Wichtig wäre aber, dass die Definition des Betriebsgeheimnisses präzise und so klar wie möglich ist. Des weiteren sieht die geplante Gesetzgebung vor, dass ein Verstoß gegen das Betriebsgeheimnis gilt, sobald die Information enthüllt wird, unabhängig davon, wie die Information verwendet wird und welchem Zweck die Enthüllung dient.

Obwohl die Richtlinie stark in die Persönlichkeitsrechte und die Rechte von Angestellten eingreift, fällt sie nicht in den Geltungsbereich des Europäischen Sozialen Dialogs. Daraus resultiert, das weder Gewerkschaften noch NGOs formal zu dem Antrag Stellung nehmen können.

Interview mit Harrison

Ein Interview mit Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison finden Sie hier.

Trotzdem haben Eurocadres (Europäischer Führungskräfteverband), nationale Gewerkschaften und NGOs diverse Bedenken geäußert, besonders was die Arbeitnehmerfreizügigkeit betrifft, die Schwächung der Arbeitnehmervertreter, die Gefährdung von Whistleblowern und die Pressefreiheit.

Die Richtlinie könnte es Arbeitnehmern im täglichen Leben erschweren, bedenkenlos den Arbeitgeber zu wechseln, zum Beispiel deshalb, weil ihr neuer Job dem alten zu ähnlich ist. Das könnte dazu führen, dass Angestellte das Know How, das sie aus der alten Position mitbringen, für ihren neuen Arbeitgeber nicht verwenden dürfen. Arbeitnehmervertreter, die ihre Gewerkschaftsrechte in Anspruch nehmen und sich dabei auf Unternehmensinformationen berufen, sind ebenfalls nicht von juristischer Haftung ausgenommen.

Risiko für Whistleblower

Gedöns-taz

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Viele Firmenvertreter und Gewerkschafter haben in der Vergangenheit mutig Informationen über strategische Firmenentscheidungen, Transfers oder Übernahmeabsichten, Sozialpläne, Unternehmensverlagerungen, die Auslagerung von Arbeitsfeldern an Tochtergesellschaften und Subunternehmer, die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe usw. an Arbeitnehmer oder an die Presse weitergegeben, um unethische Geschäftspraktiken von Aktionären zu verhindern. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie riskieren Whistleblower, Journalisten, Verleger und Aktivisten, die im öffentlichen Interesse arbeiten, nun die strafrechtliche Verfolgung.

Das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit könnte durch diese Richtlinie erheblich beeinträchtigt werden. Investigative Journalisten, NGO-Mitarbeiter und Whistleblower sind von der Richtlinie nicht generell ausgenommen, obwohl deren Arbeit für jede moderne Demokratie essentiell ist. Ebenso gibt es keine Ausnahme für Informationen, die fundamentale Rechte betreffen, insbesondere im Gesundheitswesen und im Umweltschutz.

Die so genannte „gewerbliche" Information, die mithilfe strafrechtlicher Sanktionen rechtlich durchgesetzt als Betriebsgeheimnis geschützt werden soll, ist oft von höchstem öffentlichem Interesse. Das gilt zum Beispiel für die komplexen Steuersysteme, die zwischen vielen großen Unternehmen und den Steuerbehörden Luxemburgs verhandelt werden (Luxleaks Skandal), für medizinische Daten, wenn es um klinische Studien von Pharmaunternehmen geht (Daten, die tatsächlich Leben retten können), und für eine große Bandbreite an Daten von Chemiekonzernen, die für den Umweltschutz und die Gesundheit der Verbraucher relevant sind.

Schließlich schreibt die Richtlinie vor, dass im Fall von Straf- und Zivilverfahren der Zugang zu Akten oder Verhandlungen vor, während und nach einer Klage beschränkt werden könnte, um Betriebsgeheimnisse zu schützen. Dieses Vorhaben ist eine ernsthafte Bedrohung für die Gleichheit vor dem Gesetz und die Informationsfreiheit, weil nicht mehr alle Akten für alle Parteien zugänglich sind. Jedoch werden unabhängige Gerichte durch die Verfassungen vieler EU Staaten garantiert.

Die französische Regierung hatte bereits einen Versuch gestartet, diese Richtlinie vorwegzunehmen und sah sich daraufhin mit einer erheblichen Protestbewegung konfrontiert. Angesichts des Protests ruderte die Regierung zurück und musste anerkennen, das Betriebsgeheimnisse die Meinungsfreiheit sowohl innerhalb als auch außerhalb von Unternehmen bedrohen. Was in Frankreich stimmt, trifft auch auf europäischer Ebene zu. Deshalb rufen wir die Mitglieder des Europäischen Parlaments und die europäischen Regierungen dazu auf, sich diesen Entwurf noch ein Mal anzusehen.

Es mag zwar nötig und legitim sein, Wirtschaftsakteure vor unlauterem Wettbewerb zu schützen. Jedoch ist es dazu weder nötig noch legitim, der öffentlichen Debatte und der Transparenz solch eine große Menge an Informationen vorzuenthalten. Wir glauben nicht an die Kriminalisierung der Arbeit von Whistleblowern, Journalisten und Gewerkschaftsaktivisten. Die Gefährdung der Transparenz und der öffentlichen Aufsicht, die in dem Entwurf für eine europäische Richtlinie zum Betriebsgeheimnis enthalten sind, muss verhindert werden. (Übersetzung: Marlene Halser)

Die Unterzeichner:

Ignacio Fernandez Toxo, President, Confédération européenne des syndicats (CES), General Secretary, Confederación Sindical de Comisiones Obreras (CCOO) Martin Jefflen, President, Eurocadres Julian Assange, Editor-in-Chief, WikiLeaks Sarah Harrison, Director, Courage Foundation Dominique Guibert, President, Association Européenne des Droits de l'Homme David Azoulay, Director of health and environment programme, The Center for International Environmental Law (CIEL) Gualtiero Michelini, President, Magistrats Européen pour la Démocratie et les Libertés (MEDEL) Jim Boumelha, President, International Federation of Journalists (IFJ) Ricardo Gutiérrez, General Secretary, European Federation of Journalists Francois Gobbe, Coordinator, Kairos Europe Jesse Griffiths, Director,European Network on Debt and Development (Eurodad) Jerome Chaplier, Coordinator, European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) Cándido Méndez, General Secretary, Unión General de Trabajadores (UGT) Anne Demelenne, member, European Economic and Social Committee (EESC), former General Secretary, Fédération générale du travail de Belgique (FGTB) Arnaud Zacharie, General Secretary, CNCD-11.11.11 Fausto Durante, Head of Europe Secretariat, Confédération générale italienne du travail (CGIL) Fernandez Mauricio, Head of International Secretariat, Confédération générale des travailleurs portugais (CGTP) Markus Henn, Policy Officer, Financial Markets, World Economy, Ecology & Development (WEED) Christian Horchert, Chaos Computer Club (CCC) Andy Mueller-Maguhn, Wau Holland Stiftung Leon Willems, Director, Free Press Unlimited Menso Heus, Coordinator, Internet Protection Lab Walter van Holst, Vrijschrift Katarzyna Szymielewicz, President, The Panoptykon Foundation Gavin MacFadyen, Director, Centre for Investigative Journalism Eileen Chubb, Cofounder, The Whistler Michelle Stanistreet, General Secretary, National Union of Journalists Noel Hodson, Director, Tax Reconciliation Linda Kaucher, Coordinator, Stop TTIP Philippe Martinez, General Secretary, CGT, Marie José Kotlicki et Sophie Binet, General Secretaries, CGT des Ingénieurs, Cadres et Techniciens (UGICTCGT) Stéphanie Gibaud, General Secretary, Plateforme Internationale des Lanceurs d'Alerte (PILA) Carole Couvert, President, Confédération Générale des Cadres (CGC) Pierre Tartakowsky, President, Ligue des Droits de l'Homme Jean Paul Bouchet, General Secretary, CFDT Cadres Daniel Lebègue, President, Transparency International France Lucie Watrinet, Coordinator, Plateforme Paradis Fiscaux et Judiciaires Françoise Martres, President, Syndicat de la Magistrature Florian Borg, General Secretary, Syndicat des Avocats de France Luc Bérille, General Secretary Unsa Bernadette Groison, General Secretary, FSU Patrick Monfort, General Secretary, SNCS Vincent Brossel, Director, Peuples Solidaires Eric Peres, General Secretary, FO Cadres Jean-Pierre Therry, General Secretary, CFTC-Cadres Séverine Tessier, President, Anticor Cécile Gondard-Lalanne and Eric Beynel, Executive Officers, Union syndicale Solidaires Vincent Drezet, General Secretary, Solidaires finances publiques Bertrand Bocquet, President, Fondation Sciences Citoyennes Emmanuel Vire, General Secretary, Syndicat National des Journalistes CGT (SNJ-CGT) « Informer n'est pas un délit » Collective « Economistes Atterrés » Collective Benjamin Sonntag, Co-founder, La Quadrature du Net William Bourdon, President, Sherpa Errecart, President, Collectif Ethique sur l'Etiquette Florent Compain, President, Amis de la Terre France Michel Capron, President, Forum citoyen pour la RSE Didier Prince-Agbodjan, President, Terre des Hommes France Antoine Deltour, LuxLeaks whistleblower Thomas Coutrot, Spokesman, ATTAC France Bernard Pinaud, Executive Officer, CCFD-Terre Solidaire Jean Louis Marolleau, Executive Secretary, Foi et Justice Afrique Europe

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1 Kommentar

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  • Nicht nur verhindern: Wenn die EU-Kommission versucht, so ein Gesetz umzusetzen, dann sollte ein Gegenvorschlag kommen - ein Gesetz, dass mindestens genauso radikal in die entgegengesetzte Richtung geht.

     

    Zum Beispiel verstärkter Schutz von Whistleblowern und Rechte der Arbeitnehmer an den Werken, die sie schaffen.

     

    Oder Begrenzung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen auf die durchschnittliche Zeit bis zu einem Vertragsabschluss.

     

    Wieso brauchen wir überhaupt einen Schutz für Geschäftsgeheimnisse, wenn es Patente gibt?