Samar Badawi über saudischen Blogger: „Raifs Fall ist besonders krass“
Vor einem Jahr wurde Raif Badawi zu 1.000 Stockhieben verurteilt. Trotz internationalen Drucks sitzt der Blogger in Haft. Seine Schwester kämpft für seine Freilassung.
taz: Die Hiebe für Ihren Bruder Raif Badawi haben weltweit einen Aufschrei ausgelöst. Hat die Aufmerksamkeit etwas bewirkt? Er sitzt ja immer noch im Gefängnis.
Samar Badawi: Ohne die Aufmerksamkeit hätten sie nicht aufgehört ihn auszupeitschen. Bislang hat Raif nur 50 der 1.000 Stockhiebe bekommen, zu denen er verurteilt wurde. Ich habe noch Hoffnung, dass er freigelassen wird. Der internationale Druck hält an. Die schwedische Außenministerin hat Saudi-Arabien offen kritisiert. Schweden hat sogar einen Waffendeal mit den Saudis gestoppt. In den USA haben mehr als 60 Mitglieder des Kongresses einen Brief an König Salman geschrieben und ihn gedrängt, Raif und alle anderen politischen Gefangenen freizulassen.
Die saudische Regierung hat das als Einmischung in innere Angelegenheiten heftig kritisiert. Haben Sie keine Angst, dass internationaler Druck Raifs Chancen auf Freilassung mindert?
Nein. Das Allerwichtigste für die Regierung ist, dass die internationale Gemeinschaft schweigt. Die Kampagne für Raif hat ihr viele Kopfschmerzen bereitet. Nur wenn wir weiter Druck machen, gibt es Hoffnung, das Raif und Walid entlassen werden ...
... Walid Abu al-Kheir ist Ihr Ehemann. Er war Raifs Anwalt, bevor er selbst verhaftet http://www.amnesty.de/downloads/fallbeschreibung-waleed-abu-al-khairwurde.
Ja, meine ganze Familie wurde ins Gefängnis gesteckt. Walid wurde im April letzten Jahres verhaftet und wegen „Rufschädigung“ und „Aufhetzens der öffentlichen Meinung“ zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Wie geht es den beiden?
Gott sei Dank geht es ihnen gesundheitlich gut. Ich kann Walid regelmäßig Medizin und Bücher bringen. Raif ruft mich täglich an und ich besuche ihn oft im Gefängnis. Sie behandeln ihn gut. Sollte er schlecht behandelt werden, würde ich in den sozialen Medien darüber sprechen. Das würde der Regierung noch mehr Kopfschmerzen machen.
Die 33-Jährige ist Make-up-Artistin und Menschenrechtsaktivistin. Sie lebt in Jidda, Saudi-Arabien. Nicht nur ihr Bruder Raif wurde verhaftet. Ihr Ehemann, der Menschenrechtsanwalt Walid Abu al-Kheir, sitzt seit vergangenem Jahr ebenfalls im Gefängnis.
Die beiden wurden verhaftet, weil sie Kritik an der Regierung und der Religion geübt haben. Wie viele politische Gefangene sitzen in saudischen Gefängnissen?
Mehrere Tausend, aber nur wenige sind in der Öffentlichkeit mit Namen bekannt. Die Familien der meisten Gefangenen wollen nicht, dass ihre Namen zum Beispiel auf Facebook oder Twitter kursieren.
Warum hat ausgerechnet Raif so viel Aufmerksamkeit erregt?
Raifs Fall ist besonders krass. Mein Bruder ist noch nicht einmal Menschenrechtsaktivist wie Walid. Wenn Du einen harmlosen Blogger auspeitschst und 10 Jahre ins Gefängnis sperrst, werden die Leute hellhörig. Weder Walid noch andere prominente Gefangene wie Mohammed Fahad al-Qahtani oder Abdullah al-Hamid werden ausgepeitscht. Deshalb hat Amnesty International Raif für die Kampagne gewählt.
Ein Jahr nach der Verurteilung Raif Badawis haben seine Ehefrau und Amnesty International seine sofortige Freilassung gefordert. Es reiche nicht aus, dass die saudischen Behörden die Strafe ausgesetzt hätten, um internationaler Kritik zu entgehen, erklärte Amnesty International am Donnerstag. „Es ist höchste Zeit, dass das Urteil aufgehoben wird.“
Ein saudisches Gericht hatte Badawi am 7. Mai 2014 zu 1.000 Stockhieben und zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in seinem liberalen Internetforum den Islam beleidigt haben soll. Die ersten 50 Stockhiebe bekam der Blogger Anfang Januar auf einem öffentlichen Platz. Danach wurde die Strafe ausgesetzt, offiziell aus gesundheitlichen gründen. (dpa)
Viele Liberale in Saudi-Arabien stehen Raif und Walid kritisch gegenüber. Die beiden hätten es zu weit getrieben. Wer etwas bewegen wolle, müsse langsam und vorsichtig vorgehen.
Das sehe ich anders. So funktioniert das nicht. Entweder haben diese Leute Angst oder sie wollen nicht wirklich etwas verändern. Es mag bestimmte Dinge geben, für die man behutsam kämpfen kann, aber andere muss man auf die harte Art angehen. Nur wer richtig Druck macht, kann wirklich etwas bewegen.
Hat es Sie überrascht, dass Raif und Walid verhaftet wurden?
Raifs Urteil hat mich überrascht. Er hatte ja kaum etwas gemacht, nur darüber geredet, was die Leute denken. Dass Walid verhaftet werden würde, hatte ich erwartet. Sie hatten ihn gewarnt, hatten ihm ein Reiseverbot erteilt und ihn zuvor bereits für drei Monate eingesperrt. Aber Walid hat nicht aufgehört. Ich habe ihm gesagt, er müsse vorsichtiger sein, aber er wollte nicht. Ich habe ihm gesagt, dass er verhaftet werden würde, aber er sagte nur: 'Sollen sie mich doch verhaften'. Walid ist sehr stark. Er war und ist fest davon überzeugt, dass er nichts Falsches gemacht hat.
Walid wurde auf Grundlage des neuen Terrorismusgesetzes verurteilt. Warum wird ein solches Gesetz für Menschenrechtsaktivisten verwendet?
Das Terrorismusgesetz wurde erst im vergangenen Jahr erlassen. Amnesty International und Human Rights Watch warnten damals bereits, dass es gegen Menschenrechtsaktivisten verwendet werden könne. Nun sehen wir genau das, was sie vorhergesagt haben: Der wahre Zweck des Gesetzes ist es, Aktivisten zu verurteilen. Mein Mann war der erste, der auf dieser Grundlage verurteilt wurde. Andere folgten: Die beiden saudischen Frauen Loujain al-Hathloul und Maysa al-Amoudi wurden vor das Antiterrorgericht in Riad gestellt, weil sie angeblich gegen das Autofahrverbot verstoßen haben.
Schüchtert das Gesetz Aktivisten im Königreich ein?
Natürlich. Die meisten Leute trauen sich nicht mehr, sich in den sozialen Medien zu äußern oder mit Journalisten zu sprechen. Sie haben Angst und halten den Mund. Die Regierung hat Walid, Raif and andere Gefangene als Beispiele gewählt, um alle wissen zu lassen, was passiert, wenn man offen über Politik oder Religion redet – und zwei weitere Beispiele für Frauen, die es wagen Auto zu fahren. Nach dem Arabischen Frühling hätte sich ohne das Gesetz auch hier in Saudi-Arabien viel verändert. Aber die saudische Regierung wollte nicht so enden wie das Regime in Ägypten.
Haben Sie keine Angst, selbst verhaftet zu werden?
Das Risiko muss ich eingehen. Wer redet noch, wenn alle den Mund halten? Aber sie können mich nicht verhaften. Sie haben Angst, da ich gut vernetzt bin. Letztes Jahr standen drei Autos zwei Wochen lang Tag und Nacht vor meiner Haustür. Die Regierung weiß genau, wo ich bin und was ich mache. Sie wartet, dass ich einen Fehler mache. Aber ich kämpfe nur für meine Familie. Alle Menschenrechtsaktivitäten habe ich eingestellt. Wie würde die Regierung meine Verhaftung rechtfertigen? Samar Badawi hat für ihren Bruder und Ehemann gekämpft? Das wäre doch peinlich.
Das Innenministerium hat bereits ein Reiseverbot gegen Sie erlassen. Wenn Sie reisen könnten, würden Sie das Land verlassen und im Exil leben?
Nein. Im Ausland hätte ich keinen Grund mehr zu kämpfen. Ich könnte meine Meinung äußern und in Freiheit leben. Ich kann nicht außerhalb Saudi-Arabiens leben und zum Beispiel dafür eintreten, dass saudische Frauen Auto fahren dürfen. Mein Kampf ist es, Saudi-Arabien zu einem besseren und gerechteren Land zu machen. Ich bleibe lieber hier und sende meinen Mitbürgern die Nachricht: Auch wenn ihr Angst habt, ich habe keine, ich kämpfe weiter.
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