NRW-Kredite in Schweizer Franken: Hochriskante Spekulationen
Etliche Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben Kredite in Schweizer Franken aufgenommen. Nach dessen Aufwertung wird die Rückzahlung teuer.
DÜSSELDORF taz | Die Aufwertung des Schweizer Franken hat für etliche Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen unerfreuliche Folgen: Ihre Schulden steigen drastisch, denn sie haben Kredite in Franken aufgenommen. Nachdem die Schweizer Nationalbank Mitte Januar die Bindung des Franken an den Euro aufgehoben hatte, gibt es für einen Euro gibt jetzt knapp einen Franken. Als die Kämmerer die Kredite in den Jahren 2002 und danach aufgenommen haben, waren es zwischen 1,55 und 1,60 Franken. Und die Zinsen waren ein bis zwei Prozentpunkte günstiger als bei Krediten in Euro. Nun müssen die Kommunen also plötzlich sehr viel mehr für die Tilgung und Zinsbedienung zahlen als vorgesehen.
Es geht um hohe Summen. Die Stadt Essen hat es am härtesten getroffen. Sie hat aktuell Kredite in Höhe von 450 Millionen Franken in den Büchern stehen. Und die sind alle in diesem Jahr fällig, wie Stadtkämmerer Lars Martin Klieve zu Reuters sagte, die meisten im zweiten Halbjahr. „Gegenüber dem letzten Bilanzstichtag ergibt sich heute eine rechnerische Erhöhung der Schweizer-Franken-Verbindlichkeit in Höhe von rund 75 Millionen Euro“, teilt die Stadt mit.
Bochum soll Fremdwährungskredite in Höhe von 180 Millionen Euro und Münster in Höhe von 118 Millionen Euro laufen haben. Insgesamt hatten Ende 2013 nach Angaben des NRW-Innenministeriums 25 Kommunen Kredite mit einem Volumen von insgesamt 1,9 Milliarden Euro in Fremdwährung, der größte Teil davon in Schweizer Franken.
Das Wechselkursrisiko war den Kommunen durchaus bekannt. Seit 2014 verlangt die nordrhein-westfälische Landesregierung auch, dieses abzusichern. Das haben die Städte und Gemeinden in der Regel früher nicht getan, weil die Kosten dafür den finanziellen Vorteil aufgefressen hätten. In anderen Bundesländern haben Kommunen höchstens vereinzelt Kredite in Franken aufgenommen, sagt Agneta Psczolla vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. In Österreich und Frankreich dagegen haben Kommunen ebenfalls fast flächendeckend Probleme.
„Über Spekulationsverbot nachdenken
Für den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im Düsseldorfer Landtag, André Kuper, sind die Franken-Kredite nichts anderes als zwar zulässige, aber hochriskante Spekulationen. Er war selbst 15 Jahre Bürgermeister im westfälischen Rietberg. Für ihn wären Kredite in Fremdwährungen wegen des hohen Risikos nicht infrage gekommen. „Mit öffentlichen Geldern sollte man nicht spekulieren“, sagt er. „Wir müssen über ein Spekulationsverbot für Kommunen nachdenken.“
Bislang sind die höheren Schulden fiktiv. Sollte der Euro gegenüber dem Franken wieder an Wert zunehmen, sinken die Schulden wieder. Sollten aus den fiktiven Verlusten reale werden, wird dafür niemand haften. „Nur wenn jemand gegen geltendes Recht verstoßen hätte, würde sich die Frage der Haftung stellen“, sagt Martin Lehrer vom Städte- und Gemeindebund NRW. Kämmerern und Kommunen sei aber kein Vorwurf zu machen. Schließlich seien den Kommunen Kredite in Schweizer Franken unter anderem von der Gemeindeprüfungsanstalt empfohlen worden. „Man kann das weder als Spekulieren noch als Zocken geißeln“, sagt er.
Die Landesregierung habe wegen der kommunalen Selbstverwaltung keine Möglichkeit einzugreifen, sagt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. „Wir müssen beobachten, wie sich die Lage entwickelt.“ Erst Ende des Jahres werde man Klarheit haben. Geraten Kommunen finanziell ins Schlingern, werden sie schlimmstenfalls unter Zwangsverwaltung gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?