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Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“Beseitigt die Ghettos

Kommentar von Selim Nassib

Wer in Zukunft Anschläge wie die in Paris verhindern will, muss die Banlieues auflösen. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Bewohner.

Nicht so schön hier, nicht wahr? Bild: imago/ecomedia/robert fishman

A uch wenn es in Frankreich bessere Geheimdienste geben wird, mehr Polizei, eine stärkere Telefonüberwachung, eine größere Kontrolle des Internets, eine bessere Überwachung von Flugbewegungen, republikanische Schulen, die Bürgersinn lehren sowie eine Justiz, die erbarmungsloser gegen Terrorismus und Rassismus vorgeht: Man wird das „Niemals wieder so etwas!“ nicht bekommen, das man sich so sehr wünscht.

Die einzige Lösung wäre, die Ghettos zu beseitigen – die auch als Vorstädte oder Viertel bezeichnet werden. Dieses brackige Bad, in dem Hunderttausende Jugendliche vegetieren und das das Gegenteil der aufgeklärten Welt ist, in der die meisten von uns leben.

Dort ist jeder arabischer Herkunft, schwarz, Muslim und dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst, die inzestuöse Konzentration des Gleichen erzeugt einen ekelerregenden Mikrokosmos, ein Ghetto eben, der ein und dieselbe Mentalität zum Gären bringt, ein und dieselbe Vorstellungswelt, eine und dieselbe Art zu leben – wenn man dieses denn Leben nennen kann. Die Arbeitslosenquote dort schlägt alle Rekorde, in der Schule wird nicht dieselbe Sprache gesprochen, das Elend regiert genauso wie Ausgebufftheit und Dealerei.

Man hängt herum, hat nichts zu tun oder nicht viel, aber man ist „zu Hause“. Zu Hause auf diesem Territorium, auf das sich Polizisten nur selten vorwagen, wo Dealer an den Straßenecken warten (man kann zu ihnen gehen, für sie arbeiten und sich etwas dazu verdienen) und wo die Moschee, mehr oder weniger „heilbringend“, niemals weit ist. Natürlich findet dieses Milieu seine Fortsetzung in den Gefängnissen, in denen die Radikalsten einsitzen und wo dasselbe Gemisch aus Kriminalität, Drogen und Religion gedeiht.

Schmelztiegel der Hoffnungslosigkeit

Vielleicht ist das, was ich sage, nur ein Klischee. Ich weiß nichts über die „Vorstädte“, ich war nur drei oder vier Mal da, weil ich einen Freund habe, der dort wohnt. Aber ich habe den Eindruck, dass in diesem Schmelztiegel von Hoffnungslosigkeit, Verdruss und dem Gefühl des Ausgeschlossenseins, der radikale Islamismus ein einfaches Denk- und Wertesystem anbietet: Wir sind es, die in der Wahrheit leben; die anderen, vermögende Juden und Christen, sind nichts anderes als korrupt; auch auf die Gefahr hin zu sterben, lassen wir diese Welt hochgehen, die uns nicht will, und gelangen so ins Paradies.

Der Autor

Sélim Nassib wurde 1946 in Beirut im Libanon geboren. Er stammt aus einer jüdischen Familie syrischer Herkunft. Seit 1969 lebt er in Paris. Er arbeitete für zahlreiche Zeitungen, unter anderem auch als Nahostkorrespondent für die französische Zeitung Libération. Seit den neunziger Jahren lebt er als freier Schriftsteller und Drehbuchautor, hauptsächlich für Dokumentarfilme.

Denjenigen, die diese Entscheidung getroffen haben, muss der Dschihadismus wie ein messianisch-leuchtendes Unterfangen erscheinen, eine Art, um mit der Ohnmacht und dem grauen Leben zu brechen und als „Märthyrer“ und „Helden“ zu enden.

Die Ghettos beseitigen? Die Staatsgewalt, die Regionen und Gemeinden, haben bereits daran gedacht und zweifellos Millarden ausgegeben, um dieses Ziel zu erreichen. Vielleicht ist ihnen das eine oder andere gelungen, aber im Großen und Ganzen haut einen das Ergebnis nicht gerade um.

Ich weiß auch nicht, wie man es anstellen muss, um ein derart in sich geschlossenes System aufzubrechen, aber es gibt solche, die das viel besser wissen als ich: Menschen vor Ort, Vereine, Nichtregierungsorganisationen, Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter, aufgeklärte Imame – alle diejenigen, die, aus welchem Grund auch immer, bereits pragmatisch über diese Frage nachgedacht haben. Mit ihnen müsste es, bevor man Geld sinnlos ausgibt, möglich sein, eine richtige Strategie zu erarbeiten und umzusetzen, die dem Problem und der Schwierigkeit dieses zu lösen, gewachsen ist. Was tun wir jetzt? Eben das.

Aus dem Französischen Barbara Oertel

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17 Kommentare

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  • "Dort ist jeder arabischer Herkunft, schwarz, Muslim und dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst, die inzestuöse Konzentration des Gleichen erzeugt einen ekelerregenden Mikrokosmos, ein Ghetto eben, der ein und dieselbe Mentalität zum Gären bringt, ein und dieselbe Vorstellungswelt, eine und dieselbe Art zu leben – wenn man dieses denn Leben nennen kann."

     

    Das beschreibt die conditio humana ganz gut - Selbstvergewisserung durch die Spiegelung des Eigenen im Anderen, und damit die zwangsweise Aneignung, die Einebnung zum Gleichen.

     

    Die Ghettoisierung ist nur Manifestation der anderen Seite der bürgerlichen Gesellschaft, die die Vergewaltigung der Freiheit zum Prinzip erhoben hat. Die Forderung nach der Auflösung ist entweder eine nach Revolution oder Ausdruck von Kurzsichtigkeit - allet prima, wat wollta denn nich? - oder menschenverachtend: Eure Armut, und die ist nicht nur materiell verstanden, kotzt mich an.

     

    Gesellschaftlicher Ausschluss bei mit verächtlicher Stimme erhobener Forderung nach Integration zerbricht Hirne und Herzen. Ist doch klar.

    • @Unerträgliche Seinsleichtigkeit:

      Die gegenwärtige Situation ist aufgrund der gegebenen Verhältnisse schwer zu durchbrechen. Es ist aber nötig, wenn wir den sozialen Frieden wahren wollen. Meine Meinung: bei den Kindern anfangen: Jede Schulklasse erhält den ungefähr gleichen Anteil an integrationsbedürftigen Personen. Keine Ghettoschulen mehr, sondern sozialer Ausgleich über die Schule. Schließlich ist es eher das Bildungsbürgertum, dass Zuwanderung bestellt bzw. davon profitiert und diese positiv bewertet. Es ist sinnvoll, wenn sich Personen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend an der Integrationsaufgabe beteiligen.

  • Liest sich gut, stimme aber dem Genossen Schramm zu. Problem: Hier wird mal wieder der Islamismus verharmlost. Die Brüder Kouachi sind im 10. und 19. Arrondissement aufgewachsen. Islamismus treibt auf der ganzen Welt seine Blüten und ist bei Weitem nicht auf ein "Ghetto-Phänomen" reduzierbar.

    • @Bajramaj:

      Da muss ich mich anschließen.

       

      Das "Ghetteo-Problem" ist primär ein soziales, das nur durch Hinwendung zu Extremismus verstärkt wird.

       

      Dadgegen ist der Problem des Islamismus doch tatsächlich im Islam verankert, denn es tritt unabhängig von der sozialen Herkunft auf!

  • Ein "Ghetto" fällt nicht vom Himmel, die Bewohner sind schon zum großen Teil selbst dafür mit verantwortlich.

  • Um die Ghettos zu beseitigen, müssten sie abgerissen werden, die Bewohner in andere, neu zu bauende, menschenfreundlichere Häuser umziehen.

    Wäre die Elite Frankreichs dazu bereit?

  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    ps

     

    ein dezentraler Vergleich bspw. mit Deutschland zeigt, dass das Problem nicht gelöst wird, die soziale Undurchlässigkeit bleibt, auch wenn sog. Ghettos dezentralisiert werden --- die soziale Undurchlässigkeit steigt hier weiter an - daran beteiligen sich stark die Medien und die Kultur in Deutschland, die nämlich im internationalen Vergleich wenig Migranten einstellen, de facto verhält man sich wie Pegida, die Zahlen stammen von der OECD --- Leute nicht rein lassen ist Besitzstandswahrung --- ein Talk mit jemandem ergab das Feedback einer Person, welche die SKILLS HATTE, aber sagte, es sei nicht meine Kultur, die da die ganzen Marken gesetzt hätte, bedeutet, da wollen Leute schon gar nicht mehr rein, es gefällt das Klima nicht - wer andere ausschließt läuft Gefahr, bei andern, die mögliche Kandidaten sein könnten, den Wert schon verloren zu haben - ständig Migranten ausschließen verschlechtert die damit abgegebene Visitenkarte, in England sprießen die Migrantenmedien

  • Was für ein schlechter Text.

     

    "dort ist jeder arabischer Herkunft, schwarz und Muslim"? Aha! Alles zusammen. Hm.

     

    "inzestuöse Konzentration des Gleichen erzeugt einen ekelerregenden Mikrokosmos, ein Ghetto eben, der ein und dieselbe Mentalität zum Gären bringt, ein und dieselbe Vorstellungswelt, eine und dieselbe Art zu leben – wenn man dieses denn Leben nennen kann." Aha. Wie bitte?

    Was genau meint der Autor? Welche Mentalität, was ist mit "Konzentration des Gleichen "gemeint. Was haben die Menschen gemein? Seiner Darstellung nach wohl phänotypische, kulturelle und religiöse Eigenschaften. Oder ist etwa das Soziale gemeint. Ach so, wie wär's dann mal mit klarem Benennen? Welchen ekelerregenden Mikrokosmos meint er genau? Eine Idee, wie der entstanden ist?

     

    Und das sollen die Bewohner selbst (auf)lösen? Aber dann doch irgendwie auch NGOs, Vereine, Lehrer, Ärzte, Sozialarbeiter etc. Sind die denn nicht selber auch arabischer Herkunft, schwarz und muslimisch? Sind doch alle dort, oder? Aber diese Eigenschaften sollen doch grad Teil des Problems sein, meine ich, dass der Autor das so meint. Oder sollen sie das Problem doch nicht selbst lösen und brauchen Hilfe von Dritten? Hm. Alles ziemlich wirr, um nicht zu sagen auf weiten Strecken ziemlich tendenziös, wenn nicht gar rassistisch.

     

    Liebe taz-Redaktion, ja, es ist ein Meinungsbeitrag, aber sprecht Ihr nicht im Rahmen des Redigats mit Euren Autoren und weist auf Widersprüche und seltsame Tendenzen hin???

     

    Ganz doll heftig schlechtes Kino.

    Und zum Schluss gibt er auch noch zu, eigentlich keinerlei Ahnung zu haben. Ja, verdammt, was genau qualifiziert ihn dann eigentlich, hier seine Meinung kundzutun???

  • Die Wohnungsbaupolitik der vergangenen Jahrzehnte hat ihren Anteil an dem Problem. Man muss nur eine Umfrage machen, mit welchen Adjektiven ganze Stadtteile belegt werden. Ein Vergehen an den Kindern, die da aufwachsen. Das zentrale Versprechen der Demokratie (Chancengleichheit) wird konterkariert. Da helfen auch Sozialarbeiter wenig. Die Kinder und Jugendlichen brauchen mehr andere Lebensentwürfe als Vorbilder.

  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    Man muss klar stellen, dass alle Einwände, die sich entlang Konzepten orientieren, wie DER Islam, DER Koran, DIE Verfassung etc - also verschrifteter wie informeller bestehender Normen - aus philosophischer Sicht konventionell und konservativ sind - nichts anderes aber bringen alle Medien und dadurch wurden alle, die darüber reden beeinflusst. Diese ganze Art und Weise des Orientierens an Normen wird nichts ändern und kann nichts ändern, H G Wells hat sowas längst in The Island of Dr Moreau kritisiert.

     

    Weiter schlägt der Autor eine Strategie vor, eine Strategie ist aber genau wiederum soetwas, sie ist priori bereits konventionell und konservativ und das auch de facto. Eine progressive Strategie kann es gar nicht geben, genug haben es versucht, bspw. Fredric Jameson, es funktioniert nicht.

     

    Marguerite Duras und dann folgend Mengen an Architekten feierten den Rand als Möglichkeitsfeld jenseits der Gesellschaft und feierten gerade in Frankreich damit auch Einwanderer.

     

    Der Autor hat einen Absolutheitsanspruch, der funktioniert nicht.

     

    Die Charlie Hebdo Leute kommen auch nicht aus den Banlieues, beleidigen aber die Bewohner, hier nennt man sowas ausländerfeindlich.

     

    Das ist völlig konträr zu der Bewegung, die in Frankreich den Rand gefeiert hat, Rechts ist in Frankreich in der Mitte angekommen und links in rechts. Man kann das antikonventionell nennen, de facto.

     

    Duras etc. meinten eine andere Form von Antikonventionalität ohne zu romantisieren.

     

    Jede form von Distinktion ist konventionell.

  • Bemerkungen zu den gesellschaftspolitischen Tatsachen in Frankreich, Deutschland und EU-Europa.

     

    Es ist keine (persönliche) Voraussetzung notwendig, in den Ghettos aufgewachsen zu sein, um sich unter religiöser Flagge militant gegen soziale Schweinereien in der (kapitalistischen) "Marktwirtschaft" zu wehren. Zumal es keine nennenswerte Arbeiterbewegung mehr gibt in Frankreich und Europa, beziehungsweise die Reste unter liberal-sozialdemokratischer Staats-Kontrolle stehen, so wie in Frankreich und insbesondere in der Hartz-IV-Bundesrepublik.

     

    Es fehlt in Frankreich wie in Deutschland eine unabhängige und primär atheistische (weltliche) Arbeiterbewegung, eine staatlich-geheimdienstlich [bfV] unabhängige, organisierte Bewegung der differenziert technisch-wissenschaftlichen Werktätigen. Gleiches gilt für Spanien, Italien, Polen, Großbritannien, Niederlande, Dänemark und Skandinavien.

     

    Europa braucht eine moderne soziale Kampforganisation für die Durchsetzung der materiellen und kulturellen Gegenwarts- und Zukunfts-Interessen der werktätigen Bevölkerungsmehrheiten. So etwas gibt es heute nicht mehr, nicht mehr in den bürgerlichen Regierungen, Parteien und Parlamenten. Die großen Bevölkerungsmehrheiten sind in den formal bürgerlichen Gesellschaften Europas gesellschaftspolitisch ausgeschlossen.

  • Zentraler Satz: "Ich weiß nichts über die „Vorstädte“". Ok, aber warum schreibt der Autor dann darüber?

     

    Im Übrigen wuchsen die Kouachi-Brüber bekanntlich nicht in der Banlieue auf...

    • @Earendil:

      Genau, warum schreibt er über etwas, das er nicht kennt? Und was will er uns überhaupt sagen?? Ich lebe seit zehn Jahren in Paris, habe den Artikel auf Deutsch wie Französisch gelesen und verstehe nicht, worauf er hinaus will.

       

      Anscheinend ist für ihn die Satellitenstadt selbst schuld daran, daß sie Satellitenstadt ist, die Bewohner an ihrer Misere. Vielleicht einfach wegbomben? Selten so einen Stuß gelesen.

  • Solche Ghettos gibt es leider auch in Deutschland!

    Wie wäre es, wenn man auch hier damit anfangen würde?

    Solange die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander driftet, wird sich nichts ändern!

    PS

    Inlandsgeheimdienst habe schon vor gut zehn Jahren zwei Hauptgründe für junge Leute sich zu radikalisieren ausgemacht: Die persönliche Wahrnehmung zum einen von einer Benachteiligung in der eigenen Gesellschaft und zum anderen von Ungerechtigkeit in der Politik.

    Viele Jugendliche fühlen sich nicht anerkannt als Deutsche (Inländer oder Mitglieder der Wertegemeinschaft)! Der Ausgrenzung folgt dann die Abgrenzung, nach dem Motto: Dann sind wir´s eben nicht.

    Dabei hatten die Radikalinskis vorher schon „vom Islam keinen blassen Schimmer“.

    Gilt für die Rechten genauso, wie für die Linken.

    • @Malcon Gandie:

      Solche Vorstädte wie die Banlieues der französischen Großstädte gibt es nicht in Deutschland. Dagegen sind deutsche Sozialwohnungsgebiete ein Idyll.

  • Statt Budgets für Geheimdienste und Polizei aufzustocken könnte das Geld in die Bildung gesteckt werden...

     

    Aber das Problem mit der Segretation, Zerfall der Gesellschaft , sozialer Schere oder wie auch immer man es nennen will, ist m.M.n. ein grundlegendes Problem und nicht nur das von einigen Pariser Vororten.

  • "Daumen hoch" "+1" "Nagel auf den Kopf" "etc"

    guter Artikel!