Toter Asylbewerber in Dresden: An Messerstichen gestorben
Ein Flüchtling aus Eritrea ist in Dresden erstochen worden. Ein rassistisches Motiv wird befürchtet, Pegida-Anhänger nutzen den Fall zur Hetze.
DRESDEN/BERLIN taz | Der am Dienstagmorgen im Dresdner Stadtteil Leubnitz-Neuostra tot aufgefundene Flüchtling Khaled Idris Bahray ist Opfer eines Tötungsdeliktes geworden. Das geht aus dem Obduktionsbericht der Dresdner Polizei hervor. Darin heißt es, dass der Mann „durch mehrere Messerstiche in den Hals- und Brustbereich zu Tode gekommen ist.“ Polizeichef Dieter Kroll bestätigte gegenüber der Dresdner Morgenpost: „Nach jetzigem Befund legen wir uns darauf fest, dass ein Messerstich ursächlich für die Verletzung verantwortlich ist. Wir schließen aus, dass es sich um einen Unfall handelt.“ Der 20-Jährige war von einer Anwohnerin im Innenhof eines Plattenbaublocks im Südosten der Stadt entdeckt worden.
Am Fundort der Leiche erinnert eine einsame Blume an den jungen Mann aus Eritrea. Ein Blutspürhund der Polizei wartet auf seinen Einsatz. Der Ort, an dem die Reste einer Blutlache zu erkennen sind, liegt nahe einer dezentralen Unterkunft, in der Idris zusammen mit sieben weiteren Flüchtlingen in einer Wohngemeinschaft lebte. Am Mittwochmittag lädt die Polizei gerade ein knappes Dutzend seiner Mitbewohner in einen Mannschaftswagen. Zur Vernehmung, betont einer der Ermittler.
Währenddessen treffen immer mehr Flüchtlinge per Fahrrad vor dem Plattenbau ein. Die jungen Männer wirken verstört und unruhig. Nach ihren Erfahrungen in Dresden befragt, kommen nur über die unmittelbaren Nachbarn gute Worte. Sonst aber würden sie häufig angespuckt und mit Rufen wie „Fuck you“ oder „We are killing you“ bedacht. Deutschland sei nicht gerade freundlich, aber immerhin eine Demokratie, und die Verhältnisse in Eritrea ganz unerträglich, sagen sie.
Die Nachbarn im Viertel sind überraschend offen und durchweg freundlich. Gleiches sagen sie auch von den afrikanischen Asylbewerbern, die hier in einigen zuvor leer stehenden Wohnungen untergebracht sind.
„Lieb und nett sind die“, meint ein bulliger Hüne, den man nach seinem Habitus eher weit rechts verortet hätte. Von ihm und anderen ist zu erfahren, dass die Asylbewerber nie allein einkaufen gingen. Eine junge Frau auf einem Balkon erzählt aber auch, dass einer schon einmal versucht habe, sie anzufassen, und sie selber habe erfolglos nachts die Polizei angerufen, weil es in einer Wohnung offenbar Auseinandersetzungen mit einer Frau gab.
Nur in Gruppen aus dem Haus
Die Flüchtlinge selbst bestätigen, dass sie das Haus nur in Gruppen verließen. Niemand kann sich deshalb erklären, wie der 20-Jährige einsam zu Tode kam. Vom Einkauf im nahen Supermarkt kehrte er am Montagabend nicht zurück. Von dort wird berichtet, er habe an der Kasse sogar noch Kunden vorgelassen, die es eiliger hatten.
Ein Anwohner erzählt, dass die Afrikaner stets reichlich Bier die 300 Meter bis zum Wohnblock heimschleppten. Er vermutet deshalb, ungewohnter Alkohol- oder Drogenkonsum könne im Spiel sein. Und bleibt dennoch dabei: „Ein Mord passiert hier nicht!“
Robert Kusche, Geschäftsführer der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Dresden (RAA), traf sich am Mittwochvormittag mit Idris‘ Mitbewohnern. Diese hätten ihm berichtet, dass der Tote „aus Mund und Nase geblutet“ habe, sagt Kusche der taz. Weil weder eine Krankheit noch suizidale Absichten des Opfers bekannt gewesen seien, sei man schon vor Veröffentlichung des Obduktionsberichtes davon ausgegangen, dass der Tod „durch Fremdeinwirkung“ zustande gekommen sei. Die Stimmung unter den Asylbewerbern sei „bedrückt und ängstlich“, sagt Kusche, „sie machen sich Sorgen, dass sie die nächsten sind“.
Latente Bedrohungslage
Die Polizei hatte in zunächst mitgeteilt, dass es keine „Anhaltspunkte auf eine Fremdeinwirkung“ gäbe. Erst nach einem Bericht der Dresdner Morgenpost wurde bekannt, dass die Mordkommission die Ermittlungen aufgenommen hatte. Am Mittwochabend teilte die Polizei mit, die Kommission sei auf 25 Beamte aufgestockt worden.
Michael Nattke, Fachreferent im Kulturbüro Sachsen, hält ein rassistisches Tatmotiv für denkbar: „In Dresden gibt es starke Anfeindungen gegenüber Asylsuchenden, insbesondere an Montagen“. An den wöchentlichen Demonstrationen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) nehme eine „vierstellige Anzahl von organisierten Neonazis mit einem unheimlichen Aggressionspotenzial “ teil. Die Mitarbeiter des Kulturbüros seien an jedem Montag überrascht, „an dem es nicht zu einer krassen Gewalttat kommt“, so Nattke.
Opferberater Kusche bestätigt, dass die Flüchtlinge auch ohne Deutschkenntnisse registriert hätten, dass die Pegida-Aufmärsche für sie eine Gefahr darstellen. Daher seien sie Montags nicht mehr auf die Straße gegangen.
Während das Tatmotiv noch im Dunkeln liegt, formieren sich bereits die Pegida-Anhänger. Auf der Facebookseite der Dresdner Morgenpost schreibt ein User: „Wenn morgen beispielsweise ne Katze ungefahren wird ist da auch die pegida schuld ???“ Der Beitrag gehört noch zu den Harmloseren. In einem von unzähligen offen rassistischen Kommentaren schreibt ein anderer: „Einer weniger der auf unsere kosten lebt.“
Dagegen kamen am Nachmittag in Dresden 200 Menschen zusammen, um dem Toten zu gedenken. Am Jorge-Gomondai-Platz wurden Blumen und Kerzen niedergelegt, Bekannte des Opfers malten ein Transparent mit seinem Namen. Anschließend zogen die Demonstranten spontan durch die Innenstadt. Am Ort der Abschlusskundgebung sicherte die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) den Demonstranten die Aufklärung des Falles zu.
Mitinitiator Johannes Scholz forderte eine „umfassende Aufklärung, um den Geflüchteten einen Teil ihres Sicherheitsgefühls zurückzugeben“. Erst nach Aufklärung des Falls, entscheide sich, ob sich dem Gedenken auch politische Forderungen anschließen werden, so Scholz gegenüber der taz.
Bereits am 22. Dezember hatte es nach einer Pegida-Demonstration einen Angriff von 50 Hooligans und Rechtsradikalen auf eine Gruppe migrantischer Jugendlicher gegeben. Bei der Attacke in einem Einkaufszentrum wurde eine 15-Jährige verletzt. Die Polizei schenkte ihren Aussagen zunächst keinen Glauben und intensivierte ihre Ermittlungen erst nach starkem öffentlichen Druck.
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