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Islamisierung in der TürkeiGeneration Erdogan

In der AKP-Regierungszeit ist die Zahl der Schüler an religiösen Schulen deutlich gestiegen. Bald könnte Reli ab der 1. Klasse zum Pflichtfach werden.

Die Generation, die er will: Schülerinnen eines religiösen Gymnasiums warten auf Erdogan. Ankara, November 2014. Bild: reuters

BERLIN taz | Manchmal zeigt sich die fortschreitende Islamisierung der türkischen Gesellschaft in symbolisch wichtigen Dingen: dem Werbeverbot für Alkohol und der Einschränkung des Alkoholverkaufs zum Beispiel, die im Sommer dieses Jahres in Kraft traten. Sie zeigt sich in den, nun ja, irritierenden Einlassungen des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Und manchmal zeigt sie sich auch in Zahlen: den Schülerzahlen an religiösen Schulen zum Beispiel.

Einer Untersuchung der türkischen Lehrergewerkschaft Eğitim-Sen zufolge besuchten im Jahr 2003, dem ersten vollen Amtsjahr von Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), 71.000 Schülerinnen und Schüler die religiösen „İmam-Hatip-Schulen“. In diesem Jahr sind es 474.196 – ein Anstieg um das sechseinhalbfache.

Damit ist fast der Höchststand von 1997 wieder erreicht, als unter dem Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan, Erdoğans politischem Ziehvater, 511.000 Schüler an den religiösen Schulen registriert waren. Nachdem Erbakan Anfang 1997 von den Militärs aus dem Amt gedrängt worden war, ging diese Zahl drastisch zurück.

Eine entscheidende Maßnahme hierfür war, die Ausweitung der religiösen Schulen auf die Mittelstufe wieder rückgängig zu machen. Im Jahr 2012 beschloss die AKP-Regierung, erneut die Mittelstufen (Klassen sechs bis acht) in die religiöse Ausbildung einzubeziehen. Offizielle Angaben darüber, wie viele Mittelschulen in religiöse Schulen umgewandelt wurden, gibt es nicht. Der Lehrergewerkschaft zufolge waren dies 1.670 Mittelschulen binnen zwei Jahren. Zudem wurde mit dem Schuljahr 2010/11 damit begonnen, 1.477 reguläre Gymnasien in İmam-Hatip-Gymnasien umzuwandeln.

Recep Tayyip Erdoğan hat mehrfach erklärt, er wolle eine „religiöse Generation“ heranziehen. Kritiker sehen in den religiösen Schulen ein zentrales Instrument für dieses Ziel. Sie kritisieren auch die Unterrichtsinhalte; so gibt es immer wieder Berichte darüber, dass in den umgewandelten Schulen praktisch kein Biologieunterricht stattfinde. Mädchen und Jungen werden an diesen Schulen getrennt voneinander unterrichtet.

Pflichtfach ab der ersten Klasse

Die „İmam-Hatip-Schulen“ (Priesterschulen) wurden 1951 unter der konservativen Regierung von Adnan Menderes eingeführt und dienten anfangs ausschließlich der Priesterausbildung. Nach dem Militärputsch von 1980 wurden die religiösen Gymnasien aufgewertet. Seither berechtigt der Abschluss eines Priestergymnasiums zum Studium an einer Universität. Damals waren es die Militärs, die sich später als Gralshüter des Laizismus aufspielen sollten, die Interesse daran haten eine „religiöse Generation“ heranzuziehen. Der Islam schien ihnen als geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Linken.

Übrigens ist islamischer – genauer: sunnitischer – Religionsunterricht auch an den regulären Schulen ab der vierten Klasse Pflichtfach. Auch das ist eine Hinterlassenschaft der Militärjunta, die den obligatorischen Religionsunterricht in der Verfassung verankerte. In diesen Tagen berät die Nationale Schulkommission darüber, den Religionsunterricht bereits ab der ersten Klasse einzuführen. Wie die Tageszeitung Cumhuriyet berichtet, wurden auf dieser Tagung Kritiker des Vorschlags der „Gottlosigkeit“ beschuldigt. Im Gespräch ist zudem die Einführung eines Faches „moralische Werte“ in der Vorschule. Die Kommission tagt bis Samstag.

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4 Kommentare

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  • Ein richtiger schritt. Alkoholverbot gibt es auch in deutschland, weil es nunmal ungesund ist auch zigaretten wurden in öffentlichen Gebäuden verboten. Hat nich nur mit islam zutun. Islamische Schulen und Islamische Fach. Sollte so sein, oder wollen sie das dass islam von der Sekte (AL-Kaida) Salafisten gelehrt wird. Wir als moslems sind es leid, dass einige Selbstmörder sich eine Bombe umwickelt und sich im Marktplatz hochjagt, das im namen Allahs. Einer der Islam gelernt hat, und kennt würde soetwas niemals tun. Sogar im Krieg ist es verboten Frauen, Kinder Greise und der der sich Ergibt zu Töten. Das ist Islam und nicht das was sich einige Kranke Hirne sich ausgedacht haben. Das ist nicht Islamisierung sondern Aufklärung. Anstatt es Negativ zu betrachten, sollten sie es sicht mal aus dieser Perspektive ansehen.

  • Im Laufe des Jahres 2008 führten mehrere Städte in Deutschland ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit ein. So etwa Marburg am 16. Dezember 2007 und Freiburg im Breisgau zum 1. Januar 2008 ein. Im Laufe des Jahres folgten diesem Beispiel unter anderem die Städte Erfurt, Magdeburg, Bamberg und Ilmenau.Seit 2010 darf in Baden-Württemberg zwischen 22 und 5 Uhr Alkohol nicht mehr im freien Verkauf gehandelt werden.Wieso wird etwas was in Europäischen Ländern als zb (es sollen vor allem jugendliche Saufgelage eingedämmt werden) selbstverständlich gesehen und wenn die Türkei das selbe Gesetz rausbringtes als Islamisierung.Heute berichten Sie über die grössere Anzahl an religiöse Imam Hatip Schulen.Hatten Sie auch auch drüber berichtet als vor Erdogan bis vor paar Jahren noch Schülerinnen mit Kopftuch nicht in die Schule durften weil es Gesetzlich verboten war.Mehr kann ich nicht schreiben weil ich Ihren Bericht ab den Punkt nicht mehr weitergelesen habe.

  • Welche Schlüsse kann man jetzt aus dieser Entwicklung ziehen? Zunächst einmal doch den, dass den Türken grundsätzlich an einer Schulbildung ihrer Kinder sehr gelegen ist. Das muss man durchaus positiv bewerten.

    1997 wurde die Schulpflicht in der Türkei von 5 auf 8 Jahre ausgeweitet, was natürlich auch zu steigenden Schülerzahlen insgesamt geführt hat. Auch um die Perspektiven und Chancen der Schulabgänger zu verbessern, bemühte sich die Regierung 2004 um einen erleichterten Hochschulzugang der Berufsschulabgänger. Im Zuge dieser Entwicklung wurde den Absolventen der Imam-Hatip-Schulen auch der Zugang zu nicht-theologischen Studienfächern erleichtert. Nach meinen Informationen hat das Verwaltungsgericht aber 2006 diese Praxis gestoppt und geurteilt, "dass ein Abschluss auf einer religiösen Imam-Hatip-Schule nicht zu einem Studium an einer Universität berechtigt."

    Den mehr oder weniger offenen Versuch, Schulen zur religiösen Indoktrinierung zu instrumentalisieren, findet man leider immer wieder und nicht nur in der Türkei. Da muss man sich nur mal in süddeutschen Schulen umschauen. Der Knoblauchkranz des Islam wird sich aber letztlich gegen linke Vampire als ebenso wirkungslos erweisen, wie das Kreuz des Christentums.

  • wie bei.... McDonalds und ihrem Clown, Man führt die kleinen schon früh an das gesunde essen ran um genug Konsumenten(Anhänger) später zu haben.

     

    Wir sind alles nur Konsumenten.