Bachmann-Preis 2014, der 3. Tag: An Batterien lecken
Die Liebe als Höllenhund, eine Liebe vor der Kulisse des D-Days, die Rückkehr einer verflossenen Liebe: Am letzten Klagenfurter Lesetag wurde es romantisch.
KLAGENFURT taz | Ach wie schön, dass es heute nur drei Lesungen gibt. Und dann geht es in allen dreien auch noch um die Liebe. Endlich. Nachdem am Freitag zwar mutigere Textformen, aber letztlich doch sehr an Mittelmäßigkeit grenzende Ideen verlesen wurden, kann es am letzten Lesetag in Klagenfurt nur noch besser werden. Und auch ist in den bisherigen Beiträgen schon so viel gestorben und getötet worden, dass ein bisschen Herzschmerz jetzt ganz gut tut.
Der Grund, warum an diesem sonnigen Samstagvormittag nicht vier, sondern nur drei Autoren lesen, sind allerdings weniger schön: Karen Köhler ist wegen einer Windpockenerkrankung ausgefallen und konnte gar nicht erst nach Kärnten anreisen, um ihren ausgerechnet von Krankheit handelnden Text vorzulesen. Somit ist eine heimliche Titelfavoritin bereits im Vorfeld ausgeschieden.
Wie Köhler ist auch Katharina Gericke (geboren 1966 in Kyritz) Theaterautorin, unter anderem für die Berliner Schaubühne, und hat bereits einen Preis des Heidelberger Stückemarkts gewonnen. Ihr Text „Down Down Down To The Queen of China Town“ zeichnet sich durch eine leichtfüßige Choreografie der Szenen und seine rhythmische Sprache aus. Seinen Titel hat Gericke einem Discosong von Amanda Lear aus dem Jahr 1977 entlehnt, der von einer Opium-Dealerin handelt.
Ein Hinweis auf den Drogenkonsum der wahrscheinlich etwas betagten Protagonistin ist nur eine verwahrloste Wohnung, in die sie niemanden hereinlässt. Stattdessen geht sie täglich mit einem Herr Malou und dessen Hund aus, um in einem Café das Nicht-Zusammenfinden zweier Liebender zu beobachten. Gerickes Referenzen auf „Aida“ und Dantes „Göttliche Komödie“ machen das Leben zu einer Oper und die Liebe zu einem Höllenhund. (Schlüsselsatz: „Was interessieren uns die fremden Leben? Weil es eigene nicht gibt.“)
Ein postmodernes Trashspiel
Jurorin Daniela Strigl ist begeistert vom nostalgischen Blick auf die Figuren, Meike Feßmann berührt vom Pathos. Burkhard Spinnen findet, dass Gerike es geschafft hat, mit einer Fülle von Kunstmitteln zu hantieren, ohne dass diese kippen oder instrumentiert wirken. Hildegard Keller erkennt ein postmodernes Trashspiel und als dann schon Vergleiche zu Felicitas Hoppe oder Sibylle Lewitscharoff (der „frühen Lewitscharoff“, natürlich) anklingen, mahnt Feßmann vor Überhöhung: „Der Text hatte seine Stärken. Aber das war's.“
Und dann folgt etwas, womit man fast nicht mehr gerechnet hatte: ein rührender, intelligenter und zum Schreien komischer Text, der sprachlich wie erzählerisch voll auf der Höhe der Zeit ist – und imstande, Gertraud Klemms „Ujjgayi“ vom ersten Lesetag das Wasser zu reichen. Der Cartoonist, Musiker und Reisejournalist Tex Rubinowitz, geboren 1961 in Hannover, erzählt in seinem Pointenfeuerwerk „Wir waren niemals hier“ von den Erinnerungen eines Protagonisten an dessen erste Freundin Irma, die ihm dreißig Jahre später eine Freundschaftsanfrage über Facebook sendet.
Irma ist neurotisch, lethargisch, fast litauisch, „finsterste Sowjetunion“. Sie leckt an Batterien und sagt „Guten Tag“ auf koreanisch, anstatt „Ich liebe dich“. Die Beziehung wird zur Slapstick-Nummer (Chaplin taucht auch auf), in der das Ich von Irma gestellte Aufgaben bewältigen muss, etwa ein Brathuhn vom Wiener Prater klauen. Sex kommt nicht infrage. (Schlüsselsatz: „Beim Sex […] ist man sich sowieso fremder als bei jedem anderen Kontakt zwischen zwei Zellhaufen, man beginnt vielleicht gemeinsam etwas (sechzig Sekunden Aufeinandergeklatsche), aber entfernt sich mehr und mehr, konzentriert sich doch nur auf sich, um am Ende in einer ratlosen Lähmung zu erstarren, wie zwei sterbende Karpfen.“)
Ein souveränes Stück Understatement
Dass es erst zum Bruch kommt, als sich Irma dem Ich nicht mehr entzieht (sie erntet dafür eine Ohrfeige), findet Juror Hubert Winkels besonders bewegend. Arno Dusini sieht in dem Text ein souveränes Stück Understatement, Hildegard Keller eine „kleine poetologische Abhandlung der Negation“. Daniela Strigl, die Rubinowitz eingeladen hat, gefällt das Wort „Charismaradiergummi“ sehr gut.
Schwer hat es Georg Petz, geboren 1977 in Wien, weil er nach Rubinowitz lesen muss. Und auch, weil er seine ohnehin zähe Geschichte mit so viel Metaphorik beladen hat, dass man die Handlung kaum verfolgen kann. Zwei Männer, ein Deutscher und ein Franzose, konkurrieren um eine Frau. In der Normandie. Vor D-Day-Kulisse. Zwischen Panzern und Tricolore. Der Titel lautet „Millefleurs“. Im Ernst. (Schlüsselsatz: „Und was im Meer geht, geht mit ihm an Land: Gischt und Pontoons, Treibmienen, shells: lose Austernkörbe, Miesmuscheln in Sturmbannführerschwarz (..).“)
Die Jury ist zum Glück nicht zurückhaltend, was ihre Kritik angeht: von „Überliterarisierung“ ist die Rede, von „Beklemmung“, von einem „Poetenkragen, mit Fell besetzt“. Daniela Strigl bittet: „Lassen Sie doch wenigstens die Miesmuschel Miesmuschel sein!“ Hildegard Keller, die Petz eingeladen hat, meint, die Jury sei nur überfordert, weil dies schon die dritte Liebesgeschichte an diesem Morgen sei.
Mag sein. Also Schluss mit Liebe. Die Gewinner werden am Sonntagvormittag verkündet.
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