piwik no script img

Kommentar Machtkampf in der UkraineEin Staat droht zu verfallen

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die ukrainische Regierung hat die Initiative verloren. Um die Einheit der Landes zu bewahren, sind Gewehrkugeln das falsche Signal.

Schwächung des „Bruderlandes“: Pro-russische Demonstration im ostukrainischen Slawjansk. Bild: reuters

D ie Situation für die Ukraine erscheint aussichtslos. Lassen die Regierenden die prorussischen Separatisten im Osten gewähren, droht das Abgleiten dieses Landesteils von staatlicher Autorität. Gehen sie mit Gewalt gegen die Besetzer vor, droht eine Eskalation des Konflikts.

Kiew scheint sich nun für die zweite dieser Optionen entschieden zu haben. Es ist die fatalere. Das Eingreifen mag rechtsstaatlich legitim sein. Doch tote Demonstranten sind für die dortige russischsprachige Mehrheit kein Zeichen dafür, dass die Regierung in Kiew an einem Kompromiss interessiert wäre. Die „Russen“ in Donezk, Luhansk oder Slawjansk haben, berechtigt oder nicht, Existenzängste. Klug wäre, diese Ängste ernst zu nehmen und die Rechte dieser Menschen im Zentralstaat zu stärken, ohne diesen infrage zu stellen.

Die Proteste verbreiten sich rasch und reichen mittlerweile bis nach Odessa im Süden. Egal, ob diese nun von Russland angeleitet werden oder ob Einheimische die Initiative ergriffen haben: Die Demonstrationen und Besetzungen arbeiten russischen Interessen in die Hände, die eine Schwächung des einstigen Bruderlandes zum Ziel haben. Die ukrainische Regierung hat die Initiative verloren, kann nur mehr reagieren.

Es ist zu früh, um abzusehen, was aus diesem Land wird. Möglicherweise wird die Ukraine das Schicksal Zyperns teilen: das einer Aufspaltung in zwei Teile durch den Einmarsch eines Drittstaats, ohne dass das sezessionistische Gebiet die Anerkennung der Weltgemeinschaft erhielte.

Vielleicht endet der Machtkampf in einem Bürgerkrieg ähnlich wie in Jugoslawien. Und noch gibt es eine kleine Chance, dass der Staat als Einheit bestehen bleibt – zum Wohle aller Bevölkerungsgruppen. Aber dazu dürfen die Signale aus Kiew nicht aus Gewehrkugeln bestehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Die Ukraine ist ein künstlich entworfenes, von Lenin und Stalin geschaffenes staatsähnliches Gebilde. Wie viele künstliche Staatskonstrukte- man erinnere sich an die DDR- ist auch die Ukraine nicht lebensfähig: Ständig Demos und Umstürze, Putsche und politischer Dauerkonflikt. Zuerst in Kiew, dann auf der Krim und im Südosten der Ukraine ist die ukrainische Staatlichkeit wie ein Kartenhaus zusammengefallen.

     

    Dieser Dauerkonflikt wird erst vorüber sein, wenn das Experiment Ukraine abgebrochen wird und die Wiedervereinigung mit der Russ. Föderation kommt.

  • Rechtsstaatlich legitim wäre die staatliche Gewalt nur, wenn die Regierung gewählt wäre.

     

    Rechtsstaat ohne Demokratie ist nicht machbar. Es fehlt gerade die Legitimation der ukrainischen Regierung.

  • Es wäre zehnmal, ja hundertmal besser die West- und die Ostukraine trennen sich, bevor ein Bürgerkrieg wie in Jugoslawien ausbricht. Tschechien und die Slowakei haben das geschafft, Warum sollte den Bewohnern der Ukraine das nicht gelingen. Zumal am Ende ohnehin eine Trennung steht. So oder so.

    • @AhaEffekt:

      Das Problem des Trennens ist, dass der Übergang zwischen russischlastigen Gebieten und dem Rest fließend ist. Somit wäre schon gut, wenn die Ukraine so erhalten bliebe. Allerdings muss man da Russland eine Wahl lassen, es wird nicht freiwillig auf sehr wichtige Lieferungen an seine Rüstungsindustrie, die aus dem Osten der Ukraine kommen, verzichten.

      Also:

      1. So schnell wie möglich Neuwahlen, so dass hoffentlich Swoboda aus der Regierung entfernt wird.

      2. Lange Garantieverträge mit Moskau, damit die nicht "aus Gründen der nationalen Sicherheit" die Abspaltung der östlichen Landesteile fördern. Die ukrainischen Verrückten in der Kiewer Regierung machen aber im Augenblick mit dem Stopp der Rüstungslieferungen genau das Gegenteil.

  • Der Westen muss seine schwere Verantwortung in Ukraine Konflikt eingestehen und seine Interessen zurückstellen. Es waren westliche Politiker, die schon November auf dem Maidan herumgeturnt sind. Das hat die Putschisten sicherlich ermutigt. Lage und Stimmung der Bevölkerung wurde völlig falsch eingeschätzt. Wenn in Deutschland geputscht worden wäre hätten alle Bürger das Recht zum Widerstand. Mit Putschisten redet man nicht, man vertreibt sie.