Kritik an Frontex: Grenzenloser Grenzschutz
Die Agentur Frontex soll unbefugte Grenzübertritte in die EU verhindern. Dabei verstößt sie immer wieder gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.
BERLIN taz | Das Zentrale Mittelmeer zählt zu den am besten überwachten Seegebieten der Welt – trotzdem kam die Hilfe für Hunderte der Schiffbrüchigen vor Lampedusa zu spät. In der Kritik steht deshalb auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex. „Wo waren die am Donnerstagmorgen?“ fragte der Gouverneur von Sizilien, Rosario Crocetta.
Die Antwort lautet: wohl nicht da. Zwar ist Frontex für die Überwachung der EU-Außengrenzen zuständig, im Zentralen Mittelmeer operiert sie derzeit jedoch nicht. Die italienische Küstenwache trägt hier vermutlich die alleinige Verantwortung.
Die 2004 – unter Mitwirkung von Innenministers Otto Schily (SPD) – eingerichtete Behörde koordiniert gemeinsame Einsätze der nationalen Grenzschützer. So werden beispielsweise rumänische Beamte in die Ägäis oder deutsche Bundespolizisten nach Malta entsendet, um dort lokale Grenzschützer zu unterstützen.
Ihr Auftrag lautet: „unbefugten Grenzübertritt verhindern“. 2012 registrierte Frontex EU-weit 61.000 solcher illegale Grenzübertritte. Um diese Zahl zu drücken, steht den 300 Frontex-Mitarbeitern jährlich rund 85 Millionen Euro zur Verfügung.
Misshandlungen und verweigerte Seenotrettung
Ihre Arbeit verstanden die Grenzschützer oft so, dass sie Flüchtlingsboote an der Fahrt in EU-Gewässer hinderten oder sie zurück auf das offene Meer eskortierten – ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Es häuften sich Berichte über Misshandlungen und verweigerte Seenotrettung. Oft war jedoch schwierig zu klären, ob diese Menschenrechtsverstöße den nationalen Küstenwachen oder Frontex zuzurechnen waren.
Die Vorwürfe gingen jedenfalls so weit, dass die EU sich 2011 gezwungen sah, die Frontex-Richtlinie zu reformieren. Jetzt heißt es: Die Maßnahmen „müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen“, die Rechte von Flüchtlingen seien „uneingeschränkt zu wahren“, Zurückweisungen auf See werden explizit verboten.
„In der Realität hat sich nichts geändert“, sagt dazu Karl Kopp, der Europareferent von Pro Asyl. „Rettungsmaßnahmen kommen oft zu spät oder unterbleiben gänzlich.“ Vor allem in Griechenland, einem der aktuellen Operationsgebiete von Frontex, trage die Agentur eine Mitschuld an „tausendfachen Rechtsverstößen“, sagt Kopp.
„Die griechische Küstenwache schleppt Flüchtlingsboote in lebensgefährdender Weise zurück aufs offene Meer“, Frontex liefert dazu die Koordinaten der Boote. Kopp fordert deshalb den Abbruch der Frontex-Operationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!