Debatte Jauch und der Herrenwitz: Von Männern, Stieren und Ochsen
Männer sollten lernen, auf Signale der angebaggerten Frau zu reagieren. Die Verwirrung, die diese Forderung auslöst, zeigt den tiefverwurzelten Sexismus in Deutschland.
N a klar, lassen weder Stern noch Spiegel auch nur eine Gelegenheit aus, hübsche nackte Frauen aufs Cover zu packen. Na klar, sind die Führungsriegen der Magazine, in denen sich jüngst zwei Journalistinnen über den ihnen widerfahrenen alltäglichen Sexismus aufregen, fest in Männerhand. Beide Gazetten verdienen gut daran, sexistische Strukturen fortzuschreiben, jede Woche aufs Neue. Und es gibt keine Indizien dafür, dass ihre Chefredakteure vorhätten, das zu ändern.
Doch diese Kritik, so berechtigt sie ist, sie verkennt das Potenzial in der jetzt hochbrandenden Debatte. Das Problem ist, so sagte Silvana Koch-Mehrin (FDP) zurecht bei „Jauchs“-Talkrunde mit dem Titel „Ein Herrenwitz und seine Folgen“ „größer als Brüderle und der Stern“. Es geht darum, wer autorisiert wird, Verhaltensnormen festzulegen: der angetrunkene Promipolitiker oder die angemachte Journalistin? Wer muss auf wen reagieren?
Bislang galt als ungeschriebenes Gesetz: Die in den lüsternen Blick geratene Frau hat die Situation zu entschärfen: Entweder sollte sie gehen (oder darf gar nicht erst an die Bar gekommen sein) oder sich galant wehren; gegebenenfalls kann sie die Belästigungen auch mit einem Lächeln ignorieren. Keinesfalls darf sie den übergriffigen Charmeur öffentlich zur Ordnung rufen.
Ansonsten ist sie – nicht etwa der besoffene Mann – unprofessionell. Wibke Bruhns, die erste Nachrichtensprecherin der Republik und anschließende Parlamentskorrespondentin in Bonn, wurde nicht müde, das zu wiederholen. Denn, so ihre Begründung, Männer seien nun mal Männer und Frauen Frauen. Ebenso wie es Stiere und Kühe gäbe. Wer das ändern wolle, müsse aus Stieren Ochsen machen. Oh je. Anne Wizorek, die die Debatte auf Twitter initiiert hat, sah Bruhns fassungslos an. Und selbst Günther Jauch war dieser Spruch irgendwie unangenehm. Analysieren konnte er ihn nicht.
Neu: Machtmänner sollen sich benehmen
Scharmützel beiseite. In der Debatte passiert gerade etwas Wichtiges, nämlich eine Neudefinition über Jahrhunderte tradierter Zuschreibungen und Normen. Die Versuche seitens der FDP, die Stern-Journalistin Himmelreich als „peinlich“ und ihren Artikel als „unter der Gürtellinie“ zu diffamieren, sind gescheitert. Stattdessen sehen auch einige männliche Leitartikler und laut einer aktuellen Umfrage die Mehrheit der Deutschen bei Rainer Brüderle Handlungsbedarf.
ist Leiterin des taz-Meinungsressorts.
Sie finden, der männliche Profi müsse sich entschuldigen, müsse die Gratwanderung zwischen informellem Gespräch und professionellem Informationsaustausch beherrschen. Da er das offenkundig nicht tue, wäre es an ihm, dazuzulernen. Rainer Brüderle schweigt.
Nichts ist in einer patriarchal gestrickten Gesellschaft wirksamer gegen Sexismus, als wenn der Sexist ausgelacht wird – von Männern. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht von sexueller Gewalt, der ist mit Spott nicht beizukommen. Wir reden hier von Aufdringlichkeiten, wir reden hier davon, dass Machtmänner aufgerufen sind, sich daran zu gewöhnen, Frauen am Arbeitsplatz und auf der anschließenden Party respektvoll zu begegnen. Zum Flirten braucht es zwei Personen, belästigt wird immer nur eine. Dieser nun viel zitierte Spruch, bringt die Sache ganz gut auf den Punkt.
Die Selbstverständlichkeit, mit der ein bestimmter Männertypus seine Überlegenheit mithilfe von Schlüpfrigkeiten demonstriert, könnte nun auf ihn selbst zurückfallen. Offenbar will in der bürgerlichen Mitte keiner mehr Brüderle sein, alle wollen George Clooney werden. Bestens. Dieser Wunsch könnte ein Baustein sein, um den längst überfälligen Kulturwandel in der Arbeitswelt anzustoßen.
Warum ist eine Himmelreich so störend?
Studien stellen immer wieder fest, dass Frauen nicht wegen mangelnder Qualifikation bei Beförderungen seriell umgangen werden. Die vom Bundesministerium für Familie in Auftrag gegebene Untersuchung „Frauen in Führungspositionen. Barrieren und Brücken“ (2010) etwa hat 40 qualitative Einzelinterviews mit männlichen Topmanagern geführt. Fast durchweg qualifizieren diese ihre Kolleginnen als Störfaktor, sofern sie eben nicht als Sexualobjekt, sondern als gleichberechtigte Kollegin adressiert werden möchten.
Dass ihre Leistung nicht ausreiche, ist dabei nicht das Thema. Wie es ein Interviewpartner formuliert, geht es um folgendes „Sie stört die Kreise. Sorry. Sie kommunizieren anders. Man kann es ganz platt ausdrücken. Sie können nicht mehr so viele dreckige Witze machen. Nicht die Fachkompetenz wird angezweifelt, darum geht es gar nicht. Es geht einzig und alleine darum. Sie stört die Kreise, die Zirkel der Männer.“
Auch Laura Himmelreich stört die Herrenrunde mit Herrenwitz und Dame. Und sie verlangt, eine verlässliche soziale Kompetenz, auch bei Männern, die in der Hierarchie weit über ihr stehen. Alice Schwarzer, die Sonntagabend prima gelaunt der Zukunft entgegenblickte, erklärt sich den Paradigmenwechsel so: Viele junge Frauen sind so wütend auf die ekligen Herren, weil sie wirklich daran geglaubt haben, dass Leistung zähle. Dass wenn sie hart arbeiteten, Sexismus Geschichte ist.
Nun stellen sie fest, „dass die alte Kacke immer noch dampft“. Anders als Wibke Bruhns flüchten sie sich aber nicht in Biologismen („so isses halt“), sondern regen sich auf und fordern die Diskussion. Und die Debatte auf Twitter zeigt: Es sind Zigtausende und eben nicht „nur“ Frauen.
P.S. Ob Brüderle zurücktreten muss? Nein, natürlich nicht. Ekelhaft zu sein, ist kein Verbrechen, es ist ein Fehler. Aber Sexismus wird allmählich zum Kriterium, an dem sich auch Machtmänner (alte wie junge übrigens) messen lassen müssen. Das ist neu und eine gute Nachricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen