piwik no script img

Archiv-Artikel

zwischen den rillen Die große Kunst der Coverversion

Christian Prommer’s Drumlesson übersetzt House-Klassiker in Jazz. Cat Power erweitert das Great American Songbook

Es gibt keine Coverversionen in der elektronischen Musik. Ausnahmen mögen diese Regel bestätigen, aber House, Techno, Minimal und Electronica haben zwar eine ganze Reihe von Klassikern hervorgebracht – gecovert wurden diese bisher fast nie. Was wohl vor allem daran liegen dürfte, dass House und Techno klangorientierte Stile sind, der Umstand, dass die Musik aufgenommen ist, ist noch wichtiger als in Rock oder Pop. Es ist nicht sonderlich sinnvoll, diese Musik überhaupt zu notieren, die Vorstellung eines Originals, das man variieren könnte, ist also viel weniger verbreitet. Dazu kommt noch der Umstand, dass die kleinste Einheit in der elektronischen Musik der Loop ist, von hier aus baut sie sich auf – und einen Loop zu covern bedeutet, ihn zu sampeln.

Dies alles vorweg, um zu umreißen, was für eine besondere Platte „Christian Prommer’s Drumlesson Vol. 1“ ist. Der Münchner Prommer hat als Teil des Trüby Trios und von Fauna Flash schon in den späten Neunzigern House mit Jazzelementen fusioniert, außerdem arbeitet er als Sessiondrummer. Für Drumlesson transponiert er nun zehn House-Klassiker in eine ganz neue Gegend: Er covert sie mit seiner Jazzband.

Ein interessanter Schritt. Denn von Jazzmusikern, die sich für House interessieren, war bisher nichts bekannt (ganz anders als von House-Produzenten, die sich für Jazz interessieren). Tatsächlich gibt es – bei allen grundlegenden Unterschieden – einige Ähnlichkeiten: Beides sind Instrumentalmusiken, und beides sind Musiken, die Wurzeln in einer schwarzen Tradition haben.

Tatsächlich funktioniert die Übersetzung dann auch brillant. „Strings Of Life“, den Techno-Überklassiker von Derrick May, bauen Prommer und sein Pianist und Mitarrangeur Roberto Di Gioia in bossafizierten Latinjazz um. Bei Mr Fingers „Can You Feel It“ wandert die Roland-303-Figur elegant vom akustischen Bass zum Piano, „Plastic Dreams“ von Jaydee (mit seinem endlosen Vibrafon-Gedaddel schon im Original erstaunlich jazznah für einen Rave-Klassiker) wird in den Dreiviertelrhythmus übertragen. Sehr schön. Auch nach dem zwanzigsten Anhören noch (das für die misstrauischen Leser, die glauben, man hätte es hier mit einer typischen Noveltyplatte zu tun, wie Nouvelle Vague etwa und ihre Idee, New Wave als Bossa zu spielen. „Drumlesson“ kann man sich auch einfach nur als Jazzplatte anhören).

Auch Chan Marshall alias Cat Power hat ein Album mit Coverversionen aufgenommen – individual-künstlerisch dürfte „Jukebox“ eine Selbstversicherungsplatte nach dem Riesenerfolg von „The Greatest“ sein, ihrem letzten Album, von dem sie überraschende zwei Millionen Exemplare verkaufte. „Jukebox“ erlaubt Marshall ihre Einflüsse offenzulegen und verehrten Künstlern Respekt zu erweisen.

Aber es ist mehr als das: Die Platte ist Zeichen dafür, dass das Great American Songbook, das viele Jahre lang von Songs der Zwanziger und Dreißiger dominiert wurde, sich grundlegend gewandelt hat. Die identitätsstiftenden Songs für eine Sängerin wie Chan Marshall kommen nicht von George Gershwin, sondern aus den Sechzigern und Siebzigern: Es gibt eine schöne Version von Joni Mitchells „Blue“ oder von „Aretha, Sing One For Me“, ein obskures Stück alter Memphis-Soul. Am schönsten ihre Umschreibung eines Hank-Williams-Songs: „Ramblin’ (Wo)man“.

Das Plattencover wiederum ist selbst eine Version und damit schlauer popistischer Kommentar: Es variiert Warhols „Triple Elvis“. TOBIAS RAPP

„Christian Prommer’s Drumlesson Vol. 1“ (Sonar Kollektiv); Cat Power: „Jukebox“ (Matador)