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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Das depressive Monster

Die verblassten Freuden des Pop: Die Kölner Band Workshop schreddert sich durch 30 Jahre Underground-Musikgeschichte

Ein Auftritt bei „Top of the Pops“ auf RTL. Die cleveren Jungs von TokTok haben ihre Frontfrau Sophie O. gegen „Red Nose Day“ Nena eingetauscht, die im Uma-Thurman-Dress „Bang Bang“ singt, während sie von Dutzenden kullerbäuchigen Teenies aus dem Eifelland angehimmelt wird. Später, am selben Abend, auf einem anderen Sender, geht Benjamin von Stuckrad-Barre unter der väterlichen Obhut von Udo Lindenberg auf Entzug. Offenbar ist der Glamour in der Musik schwer eingetrübt: Es geht etwas zu Ende, aber richtig neu fängt auch nichts mehr an. Die Vorbilder existieren als Schleifspuren weiter, eingehüllt in Loops und Samples. Momentan rächen sich eben die Achtzigerjahre, Zitatpop ist jetzt als Zitatpop-Zitat unterwegs. So dünnt die Substanz ziemlich aus mit der Zeit. Es gibt vieles, auf das man sich berufen kann, aber wer ist schon noch dazu berufen?

Mit ähnlichen Nöten hat sich die Boheme-Kultur bereits vor hundert Jahren herumschlagen müssen. Damals schrieb die Schriftstellerin Marie Herzfeld voller Sorge um den müden Schöpfergeist: „Wir sind umgeben von einer Welt absterbender Ideale, die wir von den Vätern ererbt haben und mit unserem besten Lieben geliebt, und es fehlt uns nun die Kraft des Aufschwunges, welcher neue, wertvolle Lebenslockungen schafft.“ Der Text von Herzfeld hieß nicht von ungefähr „Fin-de-siècle“. Wie schmerzhaft muss sich ein solcher Selbstwertverlust erst zum Fin-de-Millennium anfühlen?

Auf „Yog Sothoth“ kann man zumindest hören, wie durcheinander er klingt. Die CD der Kölner Band Workshop, die aus Stephan Abry, dem Künstler Kai Althoff und diversen Zuträgern besteht, ist ein depressives Monster, das sich durch die Hipness-Jukeboxen der letzten 30 Jahre frisst. Leier-Wave, Probenraum-Doom, Tristesse electronique. Schon der Titel, der auf HP Lovecrafts sagenhaften Mutantenstadl anspielt, lässt nichts Gutes ahnen. Nach 20 Songs und eineinviertel Stunden mühevoller Aufmerksamkeit weiß man zwar nicht genau, wie das unsagbare Grauen – oder die Leidenschaft? – im Kopf von Workshop aussieht. Aber immerhin, der Weg dorthin war grausam und zäh. Irgendwo raspelt sich ein Drum-Pattern monoton durch die Hirnwindungen, hallt der Ramschsound von Sequenzern und hundertfach verhackstückten Gitarren nach, zu denen Althoffs um einige Oktaven hochfrisierte Stimme „It’s a warning“ deklamiert.

Dabei geht die Band überaus konzeptuell vor, selbst wenn sie schreddert, was früher mal als Underground gemeint war. Can, Eyeless in Gaza, Disco – jeder Baustein wird einer Brechung durch Negation unterzogen, um bloß nicht auf jene schiefe Bahn zu geraten, die in die Charts führen könnte. Zur Not flüchtet man in den Elfenbeinturm: Dann spielt sich „Yog Sothoth“ für Althoff in einer „auf der anderen Seite gelegenen Parallelwelt“ ab, die es ihm möglich macht, das irdische Jammertal „von außen“ zu betrachten. Ein Zarathustra für das 21. Jahrhundert, powered by Askese? Unentwegt ist jedenfalls von Versprechen und Aufbruch, von Versöhnen und Spalten die Rede, wird mit „Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen“ sogar ganz schlimme christliche Erweckungslyrik mit ins Boot geholt, und auch sonst scheint das Zeltlager näher als das Clubleben. Aber stets muss man die Spiegelebene mitdenken, ist die religiöse Inbrunst in Anführungszeichen gesetzt, allegorisieren Althoffs Texte immer auch die verblassten Freuden des Pop. Das strategische Hinübergleiten in Jenseits-Mystizismus hat bei Workshop länger schon Methode, war doch bereits vor drei Jahren die LP „Es liebt dich und deine Körperlichkeit ein Ausgeflippter“ eine Verbeugung vor Franz von Assisi, weil er mit Vögeln sprechen konnte.

Trotzdem spielen Workshop nicht für das Tier in uns allen. Auch ihre Sehnsucht nach Spirit kreist nicht nur hoch oben im Kirchenschiff, sondern sie wühlt sich mit ebensolchem Eifer durch die Grabkammern der Pop-Avantgarde. Im Gegenzug sind es bei Althoff Traditionen bis hin zu Symbolismus und früher Moderne, mit denen sich der Musiker als Maler beschäftigt, wenn er Reverenzen an Hodler, Munch oder Moreau in seine Kunst einfließen lässt. Bei Workshop finden sich die entsprechenden musikalischen Ablagerungen von Krautrock und britischem Independentpop bis zu frühem Chicago-House. Dass die Hommage an vergangene Heroen nicht zum geschichtsklitternden Kitsch von Bescheidwissern gerät, davor schützt wiederum der hohe Grad an Abstraktion: Mal wird eine Bassline vom Minimal-Techno geborgt und am Computer krumm gebogen, mal wird aus stoischem Getrommel ein Freejazz-Finale. Letztlich ist das irre Geeiere von Workshop nur in dieser Travestie aus verweigerter Authentizität und überambitionierter Künstlichkeit zu ertragen, wenn überhaupt. HARALD FRICKE

Workshop: „Yog Sothoth“ (Sonig Records)