zwischen den rillen : Der Mut, das Innerste zu zeigen
Herz ausschütten ohne Rücksicht auf Verluste: Das ist der rote Faden des dritten Soloalbums von Justus Köhncke. Der Elektronikmusiker ist vor allem durch die Kölner Disco-House-Band „Whirlpool Prod.“ bekannt, mit der er in den 90er Jahren in Italien sogar einen Nummer-Eins-Hit landete. Inzwischen hilft er Ex-„Can“ Irmin Schmidt produktionstechnisch und wandelt musikalisch unter seinem bürgerlichen Namen auf Solopfaden.
Das ergibt Sinn, denn es geht auf seinen Platten sehr persönlich zu. Das Cover zeigt sein Fotoporträt in fast schon aufdringlicher Nähe – dicht dran! Das gilt auch für die Texte: Auf „Doppelleben“ nimmt er in Herzensangelegenheiten kein Blatt vor den Mund. Stattdessen singt er: „Da ist ein Abbild von Dir/ auf meinem Herz aus Papier“. Derlei simple, bildhafte Lyrik zu formulieren muss man sich erst mal trauen. Aber Köhncke nimmt keine Rücksicht auf Peinlichkeiten und Plattheiten und strebt eine Direktheit der Worte an, die einem Jochen Distelmeyer von Blumfeld in Nichts nachsteht und bei „Alles Nochmal“ sogar exakt in dessen Intonation vorgetragen wird. „Ist Dein Herz/ auch Dein Gesicht?“. Wer das als „Pennälerlyrik“ aburteilt, missachtet die rührende und berührende Offenheit und den Mut, sich damit verletzbar zu machen.
Das musikalische Pendant zu den Innerlichkeitstexten ist einige Male leider nur betuliche Musik, nicht allzu weit vom Schlager entfernt – trotz Köhnckes musikalischem Hintergrund. Denn er kommt von Clubmusik, Disco, House und Techno. Allerdings ließen schon seine letzten Maxis auch diesen Hang zum Gefühlskitsch durchblicken. „Weiche Zäune“, auf dem Album kunstvollere Schlagermusik, war auf der Maxi-Single noch eine Art Schlager-Techno: ein Doppelleben!
Doch das Album hat mehr zu bieten: „Timecode“ ist sein letzter, euphorischer Clubhit, und das tolle „The Answer is Yes“ und drei kleine instrumentale Intermezzi lassen Köhnckes Interesse an experimenteller Musik durchblicken. Dass er auch diese Seite in sich hat, davon zeugt ein Album seines Projekts „Subtle Tease“ mit Kai Althoff aus dem Jahr 1997. Auf „Doppelleben“ sind die Kunstgriffe weniger exzentrisch, aber auch weniger spannend. Christian Meyer
Justus Köhncke: „Doppelleben“. Kompakt, LC 12012