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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Vorwärts immer, rückwärts auch

Die norwegische Band Jaga und die New Yorker von Oneida feilen an so wunderbaren wie zeitgemäßen Prog-Entwürfen

Campino ist einer der konservativsten Menschen im hiesigen Musikbetrieb, und in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Intro hat er das wieder bestätigt. Über die norwegische Gruppe Jaga sagt er dort: „Für ein Progrock-Revival werde ich hoffentlich nie alt genug. Aber ich fand Emerson, Lake & Palmer auch schon immer scheiße.“ Soll heißen: Ich, der alte Punkrocker, der damals vor 26, 27 Jahren, Progrock aus der Musikgeschichte fegen wollte, bleibe meinen Prinzipien treu.

Wer konservativ ist, vermag nicht einzusehen, dass die Pop-Historie keineswegs statisch ist, sondern sich ungefähr jede Woche verändert, weil eine neue Platte mit starken historischen Bezügen oder eine nach Jahren erstmals – und unter völlig anderen Umständen – wieder gehörte alte Platte lieb gewonnene Erkenntnisse in Frage stellen kann. Wahr ist zum Beispiel, dass Jaga, die sich auf ihren vorigen drei Alben Jaga Jazzist nannten, mit Emerson, Lake & Palmer weitaus weniger gemein haben als Die Toten Hosen mit Pur. Mit Progrock haben die Skandinavier in der Tat etwas zu tun, aber halt nichts mit dem, der gegen den Punk, selbstverständlich zu Recht, einst angetreten ist. „What We Must“ ist keine selbstverliebte Kunst. Die Musik ist vielmehr druckvoll und unprätentiös, weckt Assoziationen an diverse Naturgewalten zwischen Orkan und Vulkan und ist so vielschichtig gebaut, dass auch einige der digital arbeitenden Bastler, die sonst so auf dem Label Ninja Tune veröffentlichen, diese Platte schätzen dürften.

Jaga sind neun Männer und eine Frau zwischen Mitte und Ende 20, die sich wohl nicht dagegen wehren würden, wenn man sie Hippies nennt. Sie haben Progrock gerade erst für sich entdeckt; ihr Vorgängeralbum „A Livingroom Hush“ klang jazz- und elektroniklastiger. Unter anderem mit Tuba, Flöte und Vibrafon erzeugt die überwiegend aus Multiinstrumentalisten bestehende Band eine Art zärtliche Wildheit.

Progrock ist auch eines von zahlreichen Etiketten, das für die Musik von Oneida passt – Kraut-, Art- und vor allem Pschychedelicrock sind andere Assoziationen. Mal ist die Musik zappelig, getragen von einer Energie, die ein bisschen an Punk gemahnt, andere Stücke klingen spröde folkig bis irgendwie fernöstlich. Die eher unrockigen Stücke des Trios aus Brookyln sind von einer verqueren Melancholie geprägt, die, weil dieses Album „The Wedding“ heißt, an Hochzeitsszenen aus Horrorfilmen denken lässt. Das wichtigste neue Element auf diesem siebten Oneida-Album ist ein machtvolles Streichquartett, arrangiert von Brian Coughlin, dem Bassisten des New Yorker Fireworks Ensembles, das, wenn man dem US-Feuilleton glauben kann, so etwas wie Klassikrock in gut hinkriegt.

Im Einsatz soll auch ein selbst gebautes Holzmonstrum mit Sägeblättern und ähnlichen Klangerzeugern gewesen sein, aber vielleicht ist das auch nur ein gutes Gerücht. Die Dramaturgie von „The Wedding“ folgt keinen herkömmlichen Regeln – gerade daran dürften Oneida lange getüftelt haben, denn mit der Idee zu der Platte gehen sie schon seit 2001 schwanger (zwischendurch sind zwei andere Alben erschienen). Der Aufbau mancher Stücke verwirrt ebenfalls: „Did I Die“ scheint eine in beinahe parodistischer Absicht stumpf gespielte und geröhrte Rocknummer zu sein, aber in dem Moment, in dem womöglich unerwünschte Fans Gefallen an dem Stück finden könnten, bricht die Band abrupt ab. Es folgt ein meditativ wirkendes Motiv aus träumerischen Gitarren, das sich aus einem behaglichen Noise-Bett erhebt – und ebenso überraschend endet wie der vorherige Part.

Gemeinsam ist Jaga und Oneida die zentrale Rolle des Schlagzeugers. Bei den Norwegern ist Martin Horntverth eine Art Bandleader: Bei Konzerten macht er die Ansagen – da erfährt man, dass Tortoise und „Star Wars II“ wichtige Einflüsse gewesen sind –, und zuweilen bringt er gerade dann wieder Dynamik rein, wenn ein Stück etwas zu gemächlich zu werden droht. Und Kid Millions von Oneida, der außerdem singt, hält mit seinem seltsam abgehackten Stil oft den ausufernden Sound zusammen.

Jaga und Oneida schaffen beide hochkomplexe Musik jenseits aller Mikrotrends – mit dem Unterschied, dass „What We Must“ anheimelnd hymnisch klingt, während „The Wedding“, trotz aller hypnotischen Kraft, eher Unruhe hinterlässt. Jaga bewähren sich sogar bei einem Zahnarzttermin – in den besseren Praxen darf man sich ja während der Behandlung mit Musik ablenken. Oneida dagegen produzieren definitiv nicht den Soundtrack, den du brauchst, wenn jemand an deinen Zähnen zugange ist.

RENÉ MARTENS

Jaga: „What We Must“ (Ninja Tune/RTD) Oneida: „The Wedding“ (Rough Trade Records)