zwischen den rillen : Agit-Pop-Rezepte
Aufklären durch Musique concrète: Aus Protest gegen die Nahrungsmittelindustrie sampelt Matthew Herbert Essen
In den letzten Jahren hat man sich immer mal wieder gefragt, was man mit Pop noch anstellen soll. Pop hat gesiegt, ist überall, und jetzt? Doch es naht ja Hoffnung, die ganze Sache scheint wieder eine Bestimmung zu bekommen. Bob Geldorf, Sting, Bono und andere wollen mit Hilfe von Pop Afrika und die Welt retten, ganz ernsthaft, also wenn das kein Anliegen ist.
Doch es gibt noch einen weiteren Weltenretter aus einer ganz anderen Ecke mit einem völlig anderen Konzept als die aus der „Wetten, dass …“-Liga. Der House-Musiker Matthew Herbert glaubt fest daran, dass man das Elend nicht unbedingt besingen oder mit Kofi Annan bereden muss. Er ist der festen Überzeugung, dass allein der reine Klang, der Ton an sich, ein klappriger Beat, ein raffiniertes Sample, dass all das höchst politisch sein kann. Um das zu beweisen, ist ihm kein aufnahmetechnisches Gimmick zu abgedroschen.
Schon auf seinen letzten Platten hatte er versucht, Naom Chomsky, Naomi Klein, Michael Moore und das komplette Programm von Attac zu vertonen. Er sampelte den Klang einer Coca-Cola-Flasche, die er gegen das Mikrofon knallte, und behauptete: So klingt die Globalisierung. Herbert gerierte sich als Puritaner mit mehr „Du sollst nicht“- und „Du darfst nicht“-Geboten als die eifrigsten Straight-Edge-Anhänger des amerikanischen Hardcores in den Achtzigern. Inzwischen, so schreibt er auf seiner Website, fliege er etwa auch kaum noch, obwohl das sein Job eigentlich von ihm verlange. Doch er habe einfach genug von Werbungen für Schweizer Uhren, mit denen er auf den Flughäfen permanent belästigt werde.
Wovon er auch genug hat, das sind die Winkelzüge der Nahrungsindustrie, die für ihn die entfesselte Globalisierung geradezu paradigmatisch verkörpert. Deswegen klagt er sie nun auf „Plat du Jour“ an. Nein, er klagt sie nicht an, er versucht, sie musikalisch zu zertrümmern. Dabei muss er einen ungeheuren Aufwand zur Fertigstellung seines neuen Werks betrieben haben. Zweieinhalb Jahre lang sei er kreuz und quer durch Großbritannien gezogen, erfährt man, um mit dem Aufnahmegerät Unerhörtheiten nachzuspüren.
Er hat Hühnerfarmen und Schlachthöfe besucht, schottische Lachszuchtstationen und Hausmülldeponien in London. Und überall hat er sein Mikro hingehalten, den ganzen Schlamassel aufgenommen und gesampelt, um nun auf Platte beweisen zu können: So klingen Londoner Hausmülldeponien, schrecklich, nicht wahr?
Dieser eigenwillige Versuch, durch Musique concrète aufzuklären, führt dann dazu, dass gleich auf dem ersten Stück der Platte „The truncated life of a modern industrialised chicken“ angeblich der Sound von 30.000 Brathähnchen, 24.000 Küken in einer Brutanlage, 40 frei laufenden Hühnern, der Tötung eines Huhns für den Bauernmarkt sowie gerade zerbrochenen Ökoeiern zu hören ist. Wie aber klingt so eine Kakofonie des Grauens, wie hören sich die Schreie gepeinigter Kreaturen und die Widersprüche des Spätkapitalismus an? Recht hübsch eigentlich, angenehm, der Chicken-Burger bleibt hier wohl keinem im Halse stecken. Man vernimmt rythmisches Geklöppel, durchaus groovig, und ein wenig Gezwitscher im Hintergrund. Vielleicht ist Herbert ja doch nur ein Zyniker.
Jeder, wirklich jeder Song dieser Platte versucht sich an einem ähnlichen Agit-Pop-Rezept. Die Stoßrichtung bleibt dabei immer dieselbe: gegen Starbucks, für Slowfood. Wenn man diese Aneinanderreihung politischer Anliegen und Appetitzügler wirklich ernst nehmen würde, wäre „Plat Du Jour“ somit kaum zu ertragen. Man könnte ja nicht einmal eine Packung Chips neben dem Hören essen, weil der Blick automatisch auf die Auflistung von Emulgatoren und Zusatzstoffen wandern würde und man sich die Frage stellen müsste, woher eigentlich die Kartoffeln kamen. Doch glücklicherweise hat die Musik von Herbert genug Witz, um einfach so, als Musik, ja: Spaß zu machen. ANDREAS HARTMANN
Matthew Herbert: „Plat Du Jour“ (Accidental/Rough Trade)