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Archiv-Artikel

zahl der woche Pressevielfalt ist eine Frage der Interpretation

„Die Vielfalt der deutschen Presselandschaft ist einzigartig in Europa. Und wir werden alles daran setzen, sie zu erhalten.“ So oder ähnlich klingen die Sonntagsreden der Verleger und der Politiker. Allein die Realität sieht anders aus: Ganze 129 Zeitungen mit Vollredaktionen bedienen 80 Millionen Bundesbürger. Diese 129 so genannten Publizistischen Einheiten stehen hinter den insgesamt 242 gemeldeten Zeitungstiteln mit ihren 1.541 verschiedenen (Lokal-)Ausgaben.

Doch von Vielfalt kann in vielen Regionen schon heute nicht mehr die Rede sein: In beinahe zwei Dritteln aller Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland erscheint nur noch ein einziges lokales oder regionales Blatt. Vor allem in Norddeutschland und den neuen Bundesländern sind solche „Einzeitungskreise“ schon lange die Regel. Allein von 1999 bis 2002 stieg ihre Zahl nach Erhebungen der Uni Leipzig von 244 auf 299 – damit sind 63 Prozent des Bundesgebietes jetzt Monopolgebiete.

Setzt sich Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) bei der anstehenden Reform des besonderen Kartellrechts für die Presse durch, prognostizieren alle Beteiligten – von den Verlegern bis zum Kartellamt – eine neue Konzentrationswelle im Zeitungsmarkt. Denn die Vorschläge nutzen vor allem den großen Zeitungskonzernen von WAZ bis Springer, die wegen der bisherigen Wettbewerbsregeln im Inland kaum noch wachsen konnten. Die fünf größten Verlagsgruppen kontrollieren schon über 40 Prozent des gesamten Marktes. Und der jetzt vorliegende Gesetzentwurf nimmt unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich neue Monopole hin.

So wirft die SPD ihre 1976 nach zähen Auseinandersetzungen mit den Verlegern durchgesetzte Konzentrationskontrolle ohne Rücksicht auf Verluste selbst über den Haufen. Auch beim grünen Koalitionspartner ist bisher keine klare Position gegen die weitere Aushöhlung der Pressevielfalt sichtbar: „Ich glaube, dass an größeren ökonomischen Einheiten im Zeitungsmarkt kein Weg vorbeiführt“, sagte Umweltminister Jürgen Trittin der taz.

Gegen die Neuordnung stemmen sich die Journalistenorganisationen und das Bundeskartellamt – und ernten den Groll der Großverlage. Die Berichterstattung in eigener Sache spricht für sich: Kartellamtspräsident Ulf Böge führe „in seiner Rolle als Politikberater“ einen „persönlichen, geradezu polemischen Feldzug gegen die geplante Änderung des Pressefusionsrechts“, hieß es gestern im Handelsblatt. Autor des Kommentars: Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer. Die Wirtschaftszeitung gehört zur Verlagsgruppe Holtzbrinck, die sofort von der geplanten Aushöhlung der Pressefusionskontrolle profiteren würde: Das Kartellamt hatte ihr am Dienstag endgültig die Übernahme der Berliner Zeitung untersagt. STEFFEN GRIMBERG