zahl der woche : Schmieriges Andenken an „Prestige“
23.000
Da hat sich die spanische Regierung wohl etwas verschätzt: Nicht 1.600, sondern fast 15-mal so viel – nämlich bis zu 23.000 – Tonnen Erdöl, befinden sich noch in dem Wrack des vor zwei Jahren vor der Küste Galiciens gesunkenen Tankers „Prestige“. Das haben Wissenschaftler unter Federführung des Spaniers José Luis de Pablo errechnet.
„Völlig privat und unabhängig von unseren jeweiligen Institutionen“ hätten die Forscher die Untersuchung vorgenommen, beteuert de Pablo. Die in der Zeitschrift Scientia Marina veröffentlichte Studie ist unbequem, straft sie doch die spanische Regierung Lüge: Diese hatte Anfang Oktober erklärt, nahezu alles Öl sei aus dem Wrack geborgen.
De Pablo und Co. rechneten nach: Insgesamt waren noch 50.000 Tonnen in den Tanks der „Prestige“, als sie am 19. November 2002 240 Kilometer vor der nordwestspanischen Atlantikküste auseinanderbrach und sank. 27.000 Tonnen Öl waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits ausgetreten und hatten die spanische und französische Küste auf über 3.000 Kilometern verseucht. Aus dem gesunkenen Wrack in 3.700 Meter Tiefe trat weiter Öl aus. 13.000 Tonnen gelangten ins Meer, bevor die Lecks mit einem Mini-U-Boot abgedichtet werden konnten. Im vergangenen Sommer wurden Löcher ins Wrack gebohrt um große Säcke anzuflanschen. 13.600 Liter Schweröl strömte in die Säcke.
Im Herbst kam dann die Ankündigung der Regierung, dass das Wrack bis auf einen Rest von 1.600 Tonnen, der durch Bakterien unschädlich gemacht werden solle, ölfrei sei. Das könne nicht hinhauen, meinen die Wissenschaftler: Denn durch die niedrigen Temperaturen in 3.700 Meter Tiefe trennten sich schwere und leichte Bestandteile des Öls voneinander. Die schweren Bestandteile hätten sich verfestigt und seien nicht abgeflossen.
Laut Studie ist der Einhüllentanker deshalb eine Zeitbombe, die schneller tickt, als bisher angenommen. Nicht in 20, sondern in 4 Jahren könne er durchgerostet sein. Denn das stark schwefelhaltige Erdöl fördert das Wachstum von Desulfovibrio Desulfurican, einer Bakterie, die Schwefelsäure produziert. Diese wiederum zersetzt Metalle.
Auch an Land ist das Problem „Prestige“ längst noch nicht bewältigt. Insgesamt lagern 75.000 Tonnen Ölschlamm in eigens eingerichteten Depots. Bis heute wurde er nicht aufgearbeitet. Denn das Geld, das die konservative Regierung einst dafür versprach, wurde von den seit März amtierenden Sozialisten nicht ausbezahlt. Ohne finanzielle Unterstützung ist die Trennung des Schlamms in Sand, Wasser und Schweröl für Heizkraftwerke nicht möglich. REINER WANDLER