zahl der woche: 121.750: Europäisches Patentamt als „Blitzableiter“
Mehr Anträge, mehr Kritik
Das waren die Sachbearbeiter in ihren ruhigen Münchner Büros bisher nicht gewohnt: Im Frühjahr standen Greenpeace-Aktivisten vor dem Tor, und auch bei der Jahresbilanz in dieser Woche protestierten die Umweltschützer gegen ein Patent, das das Europäische Patentamt (EPA) in München Anfang des Jahres erteilt hatte. Es umfasst die Züchtung menschlicher Embryonen, und dass diese Patentvergabe ein Fehler war, räumt inzwischen auch das EPA ein.
Immerhin musste sich die Behörde in München vergangenes Jahr mit 121.750 Anträgen aus der ganzen Welt beschäftigen, das sind 7,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Viel Arbeit für die 2.500 Patentprüfer. Wer eine Lizenz in Europa anmelden will, muss sich ans EPA wenden, 60.000 Mark und einen langen Atem mitbringen. Im Durchschnitt dauert es 46 Monate, bis ein Patent erteilt ist.
Die fleißigsten Erfinder in Europa sind die Deutschen mit 18.000 neuen Ideen im letzten Jahr. Die meisten Patente werden für die Medizintechnik, die Nachrichtentechnik und für elektrische Bauteile angemeldet. Die Gentechnik spielt zahlenmäßig nur eine geringe Rolle: Gerade 25.000 von 1 Million insgesamt ausgegebenen Patenten beschäftigen sich mit der Genmanipulation, betonte EPA-Präsident Ingo Kober.
Trotzdem bringt dieses Thema seine Behörde immer wieder in die Schlagzeilen. Der Vorwurf, das Amt vergebe Lizenzen aus rein wirtschaftlichen Gründen, sei „völlig abwegig“, sagte Kober. „Wir können nichts verschleiern, unsere Akten sind alle öffentlich zugänglich.“ In der Debatte um die Gentechnik, so Kober, diene das Amt als „Blitzableiter für die gesellschaftliche, politische und ehtische Diskussion in der Gesellschaft“.
Dennoch monieren Kritiker, das Amt müsse bei ethisch fragwürdigen Anträgen das Europäische Patentübereinkommen strenger auslegen. Die Behörde bewege sich seit Jahren „jenseits der eigenen rechtlichen Grundlagen“, so Greenpeace.
Eine effektive Kontrolle der Arbeit des EPA wird durch die schiere Masse der Patentanträge ebenso erschwert wie durch das Fachchinesisch, in dem die Unterlagen abgefasst sind. Und auch das Amt selbst wird der Anträge kaum Herr. Ursprünglich sollten die Mitarbeiter des Patentamtes jährlich etwa 30.000 Fälle bearbeiten – inzwischen ist die Arbeit auf das Vierfache angewachsen.
Da sind Fehler kaum zu vermeiden – mit teilweise gravierenden Folgen, wie das Patent auf die Embryonenzüchtung zeigt.
BERNHARD PÖTTER
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