yeah! yeah! yeah!: Wandernde Enthusiasten (4): Familienfeste und andere Feierlichkeiten
Der olympische Gedanke
Vor kurzem wurde ich Zeuge einer Gefühlsregung, die mir in letzter Zeit in meiner Umgebung nur noch selten begegnet war: echter Begeisterung. Meine Mutter war am Telefon und berichtete mir von ihren Plänen. Der Grund, warum sie so aus dem Häuschen war, lag eine Woche voraus. Der 50. Geburtstag meines Onkels stand bevor.
Familienfeste waren bei uns schon immer Ereignisse, die mit grossem Enthusiasmus begangen wurden. Geschenke spielten dabei stets eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger war das Happening, und dass sich jeder an der Ausrichtung beteiligte.
So kam es, dass ich mit einer Feierkultur aufwuchs, die von einer Art olympischem Gedanken beseelt war: Mitmachen war in diesem Fall alles, alle einzubinden das oberste Ziel. Waren bei anderen Kindergeburtstagen beispielsweise Topfschlagen und Tiefkühlpizza das höchste der Gefühle, wurden bei uns gleich zu Anfang alle vorhandenen Flöten, Rasseln und Trommeln an die Kinder ausgeteilt, und von einer ohrenbetäubenden Kakophonie begleitet zog die Bagage durch das ganze Haus und nervte alle Bewohner. Meist folgte diesem Brimborium dann mindestens eine verzwickt ausgetüftelte Schnitzeljagd durch die halbe Stadt.
Auch Weihnachten wurde bei uns stets sehr aufwendig zelebriert und brauchte lange Vorbereitung - schließlich beschränkte sich der Heilige Abend nicht bloß auf das Anzünden der Christbaumkerzen und die Bescherung, sondern wurde von einem regelrechten Programm ummantelt.
Weil wir eine sehr musikbegeisterte Familie sind, gehörten zu diesem Programm natürlich jede Menge musikalischer Darbietungen; eine Zeitlang studierten wir sogar jährlich ein eigenes Weihnachtsspiel ein. Und damit sich die ganze Mühe auch wirklich lohnte, wurde das Ganze an den Feiertagen für Freunde und Bekannte mehrmals wiederholt.
Logisch, dass zum runden Jubiläum meines Onkels etwas Besonderes gefragt war. Meine Mutter jedenfalls war schon ganz aufgeregt und erzählte von einem gemieteten Konzertsaal und dem gleich mitverpflichteten Organisten und Pianisten, der die musizierenden Familienmitglieder begleiten sollte. Natürlich bedeutete der Plan, die Veranstaltung in Erlangen stattfinden zu lassen - also hunderte Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt -, erheblichen logistischen Aufwand. Doch für die Geburtstagsfeier eines Familienmitglieds konnte kein Preis zu hoch sein.
So kam es, dass sich an einem heißen Sommertag die Gästeschar in der altehrwürdigen Orangerie versammelte, dem Sitz des Erlanger Instituts für Kirchenmusik, um Trompetenkonzerten von Tomaso Albinoni oder einem Stück für Klarinette von Friedrich Zipp zu lauschen. Der Abend wurde dann - in nicht weniger feierlichem Rahmen - im verwilderten Garten jenes Hauses fortgesetzt, das mein Onkel seit 25 Jahren mit wechselnden Hausgenossen bewohnt.
Das Geburtstagskind hat sich über das Konzert sehr gefreut. Nur ich habe dennoch eine Bitte an meine feierfreudige Verwandtschaft: Lasst mich zu meinem 30. Geburtstag in Ruhe!
DANIEL FERSCH
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