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wortwechselDeutschland: Angriffe auf Freiheit der Wissenschaft?

Berlin: Pro-Palästina-Kongress wird geräumt. Die Uni Köln cancelt eine Gastprofessur der renommierten linken US-Philosophin Nancy Fraser aufgrund „antiisraelischer Aussagen“

„Abgebrochener Palästina-Kongress: Die halbierte Staatsräson. Der Eifer gegen propalästinensische Stimmen geht zu weit. Dieser autoritäre Kurs ist auch für andere gefährlich“, taz vom 15. 4. 24

Die deutsche Geschichte

Deutschland tut sich aufgrund seiner Geschichte zu Recht schwer damit, zwischen Antisemitismus und berechtigter Israelkritik zu unterscheiden und die richtige Balance zu finden. Damit müssen wir leben. Es kommt hinzu, dass nicht wenige der Israelkritiker in der Betrachtung des aktuellen Konfliktes den Terror der Hamas übersehen, negieren oder verharmlosen. Das macht es natürlich nicht einfacher, solche Leute zu Diskussionen und Vorträgen nach Deutschland einzuladen. Nun kann man diesen restriktiven Umgang mit Israelkritik kritisieren und das ist auch völlig legitim. Nicht okay finde ich es, aus diesem „restriktiven Umgang“ mit Israelkritik irgendwelche autoritären Tendenzen in Deutschland abzuleiten. Das ist völlig überzogen. Roger Peltzer

Zum zweiten Mal lese ich in der taz, dass die Hamas am 7. Oktober 1.100 Israelis „getötet“ hat. Getötet? Wie wäre es mit „bestialisch misshandelt und abgeschlachtet“? Nein, ich bin nicht für Netanjahu. Ja, ich finde es schrecklich, was die israelische Armee in Gaza macht. Und ich finde es gut, dass ich in der taz unterschiedliche Meinungen zum Thema lesen kann. Aber „getötet“ ist keine Meinung. Das ist eine groteske Bagatellisierung.

Marianne Delgorge, Berlin

Einreiseverbot für Papst?

Eine verdrehte Welt: Israel bombardiert die iranische Botschaft und der Westen applaudiert noch dazu. Netanjahu wird es nicht lassen können und den Iran wieder angreifen. Am Ende wird Israel genauso zerstört sein wie Gaza. Israel macht sich selbst kaputt. Solidarität mit dem Töten auf beiden Seiten kann es für Christen und Pazifisten nicht geben. Der Papst mahnt fast jeden Tag – vielleicht sollte die Bundesregierung auch gleich für den Papst ein Einreiseverbot und Betätigungsverbot verhängen. Daniel Vetter

Ich lese die taz und in meinem Kopf und auch in meiner Seele taucht Thomas Hobbes Erkenntnis auf: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Darauf folgt die Erkenntnis, wie gut wir es doch haben. Und für einen kurzen Moment erfüllt mich dies mit Dankbarkeit.

Ursel Grotz, Entringen

Vergesst Gaza nicht!

Was ist antisemitisch an einem Statement zugunsten der Menschenrechte, wenn in einer bereits seit Jahrzehnten unterdrückten Region inzwischen mehr als 32.000 getötete, überwiegend unschuldige Menschen schulterzuckend quasi als Kollateralschaden in Kauf genommen werden? Und warum wird bei jeder Meinungsäußerung gebetsmühlenartig der Hinweis auf den 7. Oktober gefordert, wenn der militärische Rachefeldzug der israelischen Regierung längst in gar keinem Verhältnis mehr zu den Gräueltaten der Hamas gegen die israelische Bevölkerung steht? Die aufgeregte gegenwärtige Debatte droht ein totalitäres gesellschaftliches Meinungsklima zu schaffen, in dem das hohe Gut der Meinungsfreiheit auf dem Altar der Antisemitismusdebatte geopfert zu werden droht. Und zur Meinungsfreiheit gehört eben auch, die israelische Politik infrage zu stellen. Auch mit nicht völlig aus der Luft gegriffenen Vokabeln wie Apartheid und Genozid. Diskussion und offener Dialog darüber willkommen!

Martin Spiegler, Heidelberg

Nancy Fraser über Cancel Culture: „Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Die US-Philosophin Nancy Fraser über die Gründe für ihre Ausladung durch die Uni Köln, den deutschen Umgang mit Israel und Boykotte gegen das Land“,

taz vom 10. 4. 24

„Cannibal Capitalism“?

Zitat Nancy Fraser: „Die jüdische Erfahrung ist sehr reich und sehr tief. Warum empfindet man nicht mehr Verantwortung gegenüber der jüdischen Tradition, die von Spinoza, Heinrich Heine, Sigmund Freud bis hin zu Albert Einstein reicht? Das ist der Teil der jüdischen Tradition, mit dem ich mich persönlich als Jüdin identifiziere.“

Ja! Aber genau das ist der Teil der jüdischen Tradition, der von den Rechten und Antisemiten gehasst wird. Nicht umsonst sprach man damals nicht bloß von einer jüdischen, sondern einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. Juden und Linke – die Feindbilder aller Rechten, aller Neokolonialisten, aller Militaristen.

Ich danke für die Chance, Nancy Fraser selber zu Wort kommen zu lassen, während der Kölner Rektor sich hinter Phrasen und Nullaussagen verschanzt.

Uns Uwe auf taz.de

Meiner Meinung nach war es ein Fehler des Kölner Uni-Rektors Joybrato Mukherjee, Nancy Frasers Gastprofessur abzusagen – schließlich hätten Frau Frasers Positionen zu Israel und den Palästinensern schon länger bekannt sein müssen, wenigstens zum Zeitpunkt der Einladung.

So aber hat Herr Mukherjee seiner Universität und dem freien wissenschaftlichen Diskurs hierzulande schweren Schaden zugefügt. An dieser Stelle vermisse ich übrigens die kritischen Stellungnahmen aus dem politischen Spektrum – geht es um tatsächlichen Antisemitismus, ist die politische Prominenz ja sonst schnell zur Stelle. Im Falle Frau Frasers geht es aber nicht um Antisemitismus, sondern um das Recht – und sogar die Notwendigkeit im wissenschaftlichen Diskurs –, auch ganz klar israelkritische Positionen vertreten zu können.

Boykottaufrufe gegenüber Israel bereiten mir persönlich Bauchschmerzen – hier teile ich Frau Frasers Ansichten ausdrücklich nicht. Aber es muss unter Bedingungen der grundgesetzlich verbrieften freien Meinungsäußerung weiterhin möglich sein, solche Ansichten zu äußern. Mir scheint, der von Fraser im Interview geschilderte äußere Eindruck, die Antisemitismus-Debatte werde hierzulande zum Teil mit McCarthy-ähnlichem Eifer geführt, ist leider nicht ganz von der Hand zu weisen.

AbdurchdieMitte auf taz.de

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