wortwechsel: Verrohung und Neusprech. Ist das die neue Normalität?
Eine „völkische Welle“ will in Deutschland, Teilen von Europa und der Weltpolitik den Antisemitismus und Rassismus als neue politische Macht und Normalität etablieren
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„Rechtsruck in Deutschland: Das Recht auf Verrohung. Die Normalisierung der AfD bedeutet das Ende des Erschreckens über den Nationalsozialismus. Wer das verharmlost, nährt die völkische Welle“, taz vom 4. 10. 23
Das neue Neusprech
Sehr geehrte Frau Wiedemann, vielen Dank für Ihre Beiträge. Ich habe in letzter Zeit ab und zu Kritisches an die taz geschickt, weil ich dachte, dass diese Zeitung nur noch olivgrün ist. Wohl falsch.
Plötzlich gibt es dieses neue Wort „irreguläre Migration“, das Frau Göring-Eckardt benutzt. Entweder kommt die AfD an die Regierung oder „nur“ ihre Politik? Gestern hörte ich im Fernsehen den Satz „Die Vereinigten Staaten tolerieren zivile Opfer“. Das klingt auch wie Neusprech von Orwell. Die Sprache erstickt die Fürchterlichkeit ihres eigenen Inhalts. Wir leben in einer Scheißzeit. Keiner kann ein Dilemma aushalten und alle „müssen“ sich sofort eindeutig und 100-prozentig positionieren. Doch was ist, wenn es nicht nur Weiß und Schwarz gibt?
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Keine Eindeutigkeit?
„Erwarten wir, um aufzuwachen, aufzuschrecken, lieber keine homogene Eindeutigkeit der Verhältnisse.“ Danke! Das ist ein ganz wichtiger Satz. Ajuga auf taz.de
„Die Ideologie der Kälte, die Verachtung fremden, unverstandenen Leids und die auftrumpfende Empathielosigkeit bedarf des entschiedenen Widerspruchs.“ Danke! Da schließe ich mich an.
Lowandorder auf taz.de
Vielen Dank, ich stimme Ihnen vollumfänglich zu. Hoffentlich wird es uns gelingen, das Erschrecken über den Nationalsozialismus wiederzufinden, zu erspüren? Wird es uns als Gesellschaft gelingen, die wiederauferstandenen Nachfolger der Nationalsozialisten in ihrer universellen Prägung zu erkennen und mit Mut uns gegen sie zu stellen und um den Erhalt unserer Freiheit einzustehen? Hoffentlich, im Sinne der folgenden Generationen, werden wir die Mehrheit sein.
Sonnenhaus auf taz.de
„‚Mein‘ Deutschland“?
Ich bin in Deutschland geboren und jüdischer Abstammung,. Noch vor 10 bis 15 Jahren fühlte ich mich hier in D frei, heute traue ich mich nicht mehr, mit einer Kippa auf einen jüdischen Friedhof zu gehen, bestimmte Stadtteile meide ich als „no go area“. Mittlerweile verberge ich meine Person. Entsetzt war ich, als ich eine repräsentative Umfrage sah, in der 35 Prozent zugaben, mehr oder weniger offen antisemitisch zu sein. Wenn die AfD an die Macht kommt, gehe ich nach Israel, wenn ich dort sterbe, dann wenigstens nicht als Fremder im eigenen Land.
Das ist nicht mehr „mein“ Deutschland, für das ich als Soldat bereit gewesen wäre, mein Leben zu geben. Wolf1768 auf taz.de
„Ungleichwertigkeit“?!
Der „dunkle Kern“, die „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ richtet sich nicht nur gegen die historisch Entrechteten, sondern gegen uns alle. In den Augen der echten faschistischen Größen, eines Krah oder Höcke, sind auch „alte weiße Männer“ nur im besten Fall nützliche Idioten – und Gnade ihnen was auch immer, wenn sie nicht mehr nützlich sind.
Das ist Merz, Voigt, Söder, selbst den Aiwangers nicht klar – und den Bierzeltklatschern erst recht nicht. Zangler auf taz.de
Wo bleibt Widerspruch – nach „den Anfängen“?
„Es bedarf des entschiedenen Widerspruchs.“ Ja! Aber wo bleibt der? Die Konservativen stellen Grund- und Menschenrechte in Frage, selbst die so menschenrechtsaffinen Grünen sind bereit, Internernierungslager an den EU-Außengrenzen mitzutragen, die Völkischen sind bundesweit zweitstärkste Kraft und ein Ex-Bundespräsident fordert, man möge sich bereitfinden, „das Undenkbare zu denken“ …
Statt diesem Gauck’schen Diktum Folge zu leisten, sollten diejenigen die bereit sind, ihre Lehren aus der Geschichte zu ziehen, sich eher endlich mit dem befassen, was schon immer denkbar, nicht nur als hypothetische, sondern als real drohende Möglichkeit, nämlich dem Umgang mit einem Versagen von Zivilgesellschaft und Erinnerungskultur – was ganz konkret zu tun ist, wenn den Anfängen nicht mehr zu wehren ist, weil sie längst gemacht sind. Ingo Bernable auf taz.de
„… Jogger, die sich vergnügten, wo Tausende verreckten“. Die Frage ist immer: was schickt sich? Wessen Leiden wird ignoriert? Am Nürnberger Reichsparteitagsgelände liegen noch quadratkilometerweit die Granitplatten aus dem Steinbruch des KZ Flossenbürg. Sie dienen als Parkplätze für Rockkonzerte, Autorennen, das Volksfest … Hans-Friedrich Bär
Rassismus und Flucht
Dass wir neuerdings immer wieder von allen möglichen Seiten dazu instrumentalisiert werden, die Begrenzung von Flüchtlingszahlen zu fordern, macht mich unfassbar wütend.
Nicht die Zahl der ankommenden Geflüchteten macht die Lage für sie so schwierig auf dem Wohnungsmarkt, sondern der wachsende, mittlerweile auch offen ausgesprochene Rassismus. Selbst wenn sich an einigen Stellen eine Überforderung zeigt, wo ist hier der konstruktive Vorschlag?
Und wovon soll ich überfordert sein? Von der Liebe und Dankbarkeit, die mir entgegengebracht wird, nur weil ich ein bisschen im Umgang mit der deutschen Bürokratie helfe? Von der Unterstützung, die mir meine syrischen Freunde dabei geben, meinen alten Eltern zu helfen? Davon, dass kaum jemand Demokratie und Rechtsstaat mehr zu schätzen weiß als die Syrer*innen, die sehr genau wissen, wie es ist, in einer Diktatur zu leben?
Die allermeisten Geflüchteten kommen aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan, der Türkei, Irak, Iran.
Ein paar Staaten, die für die Zahl der ankommenden Geflüchteten keine Relevanz haben, zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, ist blanker Populismus.
Hier wird Handlungsfähigkeit nur simuliert. Die zwangsläufig ausbleibende Änderung der Situation lässt die Rechtsradikalen die Regierung, die sich auf dieses Spiel eingelassen hat, immer weiter vor sich hertreiben.
Überfordert und deprimiert fühle ich mich davon, wie weit sich der populistische Nonsens in unsere Gesellschaft hineingefressen hat.
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