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wortwechselFlucht und Grausamkeit. Solidaritätsgrenze erreicht?

Die Infrastruktur in Deutschland bröckelt. Geflüchtete werden zum Sündenbock für die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik, rechtsextreme Grundeinstellungen nehmen zu

Diallo Mamadou Saliou aus Guinea wohnt seit einigen Monaten in der Zentralen Unterbringungseinrichtung der Stadt Olpe in NRW. Einwohnerzahl Olpe: 26.141   Foto: Funke/imago

So sieht es aus …

„Überall wie im falschen Film. Und noch eine ,Migrationskrise‘. Und schon wieder rücken alle nach rechts, die Medien (auch dabei: ,Der Spiegel‘) und die Wirklichkeit“, taz vom 25. 9. 23

Ihre Kolumne bemängelt, dass in Deutschland die Solidarität schwindet. Ja, die gab es mal. Jetzt ist sie ein Fremdwort geworden. Aber nicht die Zuwanderung hat dazu geführt, dass sich inzwischen eine Mehrheit ungerecht behandelt fühlt.

Die Menschen in Deutschland sehen ihre Grundbedürfnisse und Interessen nicht mehr vertreten, aus vielen Gründen: Fehlende Kindergartenplätze, zu wenig und überfordertes Personal. Lehrermangel in Grundschulen, zu volle Klassen, zu viele Kinder aus Migrantenfamilien mit mangelhaften Deutschkenntnissen. Kampf um die wenigen Betreuungsplätze von Schulkindern, sinkendes Niveau. Lange Wartezeiten bei Hausärzten, Fachärzten und wichtigen OPs. Die Altenbetreuung ist schlecht und unbezahlbar geworden. Fehlende Sozialwohnungen – dafür Wohnungszuteilungen und Bürgergeld für Ukrainer. Eine ungerechte Regelung gegenüber den Menschen hier. Die Energiekosten haben sich vervielfacht. Die Tafelläden und die Ehrenamtlichen dort sind durch massenhaft Berechtigte überfordert. Die Bürger dürfen die Zeche zahlen für ein verfehltes Heizungsgesetz. Dazu ständige Diskussionen über Renteneintrittsalter und Rentenhöhe, nicht aber über die Pensionen.

Für das alles fehlt angeblich das Geld. Für Krieg und Waffen gibt es aber genug Geld. Ist es da ein Wunder, dass sich die Leute von den Regierungsparteien abwenden? Ich bin „grün“ sozialisiert und nicht „ausländerfeindlich“. Aber Regierung und Medien sollten nicht immer noch mehr Unterstützung für Geflüchtete, für Krieg und alles Leid in dieser Welt verlangen. Ich befürchte, sonst bekommen wir eine Regierung, die sagt: „Alles zuerst für Deutschland!“ In halb Europa ist es schon so, und das will ich nicht. Denn dann ist es wirklich vorbei mit der Solidarität.

Toni Karcher, Kappelrodeck

„Sie kommen trotzdem. Konservative übernehmen die Sprache und die Forderungen der Rechten. Doch Migration lässt sich nur schwer kontrollieren“, wochentaz vom 23. 9. 23

Eine „Kulturrevolution“?

Die Krux ist, dass sich die Rechten tatsächlich wie die bösartigen Kleinkinder aufführen, als die man sie keinesfalls behandeln darf. Es scheint – nicht nur in der Union – der Glaube zu herrschen, dass eine restriktivere Migrationspolitik den Zulauf zur AfD verringern würde. Ich frage mich, ob die Verfechter solcher Ideen sich mal die Kommentare in den einschlägigen Internetforen durchgelesen haben. Da geht es weniger um eine restriktive Migrationspolitik als um Soros, „great reset“ oder „Umvolkung“. Die wollen eine Art Kulturrevolution und ein Strafgericht für all jene, die sie als Teil der von ihnen herbeiphantasierten Verschwörungen sehen. Das einzig wirksame Gegenmittel wäre die entschiedene Bekämpfung der antidemokratischen Tendenzen. Taugenichts auf taz.de

Die Lebensgrundlage

Sie kommen trotzdem? Warum sollten sie nicht kommen? Den Menschen wird die Lebensgrundlage entzogen – mithilfe der EU und anderer Staaten. Anfänge von lokalen Molkereiprodukt-Märkten etwa in Kenia werden komplett zerrieben, weil man dem Land ein „Frei“-Handelsabkommen aufgepresst hat, das mit hoch subventionierten EU-Produkten den dortigen Anbietern den Absatz schlicht unmöglich macht. Die Küsten werden mit Industrieschiffen leergefegt. Die seit Jahrhunderten auskömmlich lebenden Fischer können infolgedessen ihre Familien nicht mehr ernähren – die Profite fließen an Konzerne. Viele Kleinbauern in Ghana sind vollkommen ruiniert weil ihr Tomatenanbau sie nicht mehr ernährt, trotz harter Arbeit. Tomatenprodukte werden aus der EU importiert, zu Niedrigstpreisen, auch subventioniert. Und was machen unsere „werteorientierten“ Politiker*innen? Sie reden uns diese Situation schön und stecken sehr viel Energie und Geld in die Bekämpfung der Symptome – die Ursachen packen sie nicht an. Das könnte ja der Wirtschaftslobby missfallen. Da versucht man lieber mit populistischen Sprüchen Stimmen zu fangen und Xenophobie zu schüren. Lothar Winkelhoch, Gummersbach

„Die Mitte wankt. Die neuen Zahlen zu rechtsextremen Einstellungen sind alarmierend. Der Kurs der Union erscheint vor diesem Hintergrund noch fataler“, taz vom 22. 9. 23

Ich bin wahrlich keine Freundin der CDU/CSU, dennoch sehe ich eine große Verantwortung bei der Ampel-Koalition, die CDU mehr einzubinden und in ihre politische Mitte zu holen – die Hand zu reichen! Nur gemeinsam ist der Kampf gegen rechts zu gewinnen und hierfür braucht es eine ‚demokratische Offensive‘ mit offenem Visier. Stephanie König, Hamburg

Der Rechtsextremismus trat zeitweise verdeckt, versteckt auf, aber er war immer da. Ich, Jahrgang 1950, musste mir als 5-Jährige vom Vater einer Kindergartenfreundin anhören: „So wir du aussiehst, haben sie dich im Krankenhaus vertauscht. So was wie dich hat man früher vergast.“ Ich hatte braune Augen, dunkles Haar und eine dunklere Haut als die meisten anderen Kinder. Als ich den Vorfall meiner Großmutter erzählte, nahm sie mich in die Arme und sagte weinend: „Es hört nicht auf, es hört einfach nicht auf.“ Sie schloss sich im Schlafzimmer ein.

Während meiner ganzen Schul-, Ausbildungs- und Studienzeit begegnete ich immer wieder solchen Menschen. „Warum arbeitest du als Erzieherin im Kinderheim mit diesen „Asozialen“? Warum suchst du dir eine Schule mit solchen Kindern?“ Gemeint waren Sinti und Roma. Benutzt wurde ein anderes Wort.

„Und jetzt auch noch eine Schule voller „Ausländer“! Willst du dich nicht endlich versetzen lassen?“ Nein, das wollte ich nicht. Ich werde nie vergessen, wie verzweifelt meine Großmutter rief: „Es hört nicht auf, es hört einfach nicht auf!“

Maria Triesethau, Brensbach

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