wortwechsel: „Die“ Ossis – anfällig für russische Propaganda?
Sowjetisch-deutsche Besatzungsgeschichte. Der Alltag in der DDR wirkt nach, sagte eine deutsche Historikerin in der taz. Wie „nah“ waren sich Bevölkerung und Besatzer wirklich?
„„Man hat miteinander und gegeneinander gesoffen“. Vier von zehn Ostdeutschen sehen in Putin keinen Diktator. Woher rührt die Nähe zum Aggressor? Sowjetische Soldaten und Propaganda gehörten zum Alltag in der DDR. Das wirkt nach, sagt die Historikerin Silke Satjukow“, taz vom 24. 2. 23
„Der alte Kolonialblick!“
Diese seltsame Spezies „Ossi“! Die Wissenschaft kann sich nur wundern, was in diesen armen Opferhirnen vor sich geht. Sagt mal, merkt ihr wirklich nicht, wie herablassend, arrogant und abwertend euer eingeschränkter Siegerblick ist?
Der/die Westdeutsche präsentiert seinen alten Kolonialblick. Möglicherweise haben aber wir und nicht ihr den besseren Überblick. Wer hat zwei krass gegensätzliche Gesellschaftssysteme erlebt, wer kann vergleichen? Wer hat nach dem Faschismus die Reparationen an Russland gezahlt, wer hat über 40 Stunden pro Woche mit 10 Urlaubstagen im Jahr gearbeitet, Männer und Frauen, um ein Land wieder aufzubauen?
Wer wurde als Absatzmarkt gepampert und dafür schön durchamerikanisiert, wo durften sich die Nazis kuschelig wieder einrichten, wo sind sie schleunigst verschwunden, wo gab es die nackten Brüste auf jedem Bahnhofskiosk, wo mussten Frauen ihren Gatten fragen, ob sie arbeiten oder ein Konto haben dürfen?
Wo gab es Abtreibungsrecht und Elterngeld nach Nettoeinkommen? Wo gab es das weitaus bessere Schulsystem? Wo kann fast jedes zweite Kind in der 4. Klasse noch nicht lesen und schreiben? Die Probleme und Mängel, die diktatorische Entmündigung, die verbrecherische Staatssicherheit, die Grenzen, die gab es, aber die haben wir (!) 1989 selbst abgeräumt! Unblutig, wild und selbstbewusst. Ich erwarte Respekt für das, was wir waren und sind. Und möglicherweise ist das, und nur das, der Weg, auch mit diesem Krieg umzugehen. Putin muss gestoppt werden. Aber dazu braucht es Augenkontakt. Anette Grüsser, Wandlitz
„So eng war das nicht“
Ganz so eng wie geschildert lebten DDR-BürgerInnen und „Freunde“ nicht zusammen. Meine Heimatstadt Neuruppin war bis auf den Seedamm nur über Straßen mit anliegenden sowjetischen Militärobjekten erreichbar. Die neben den 25.000 DDR-Bürgern dort anwesenden 30.000 Soldaten verließen ihre Kasernen nur zu militärischen Übungszwecken. Ausgang gab es nicht.
Außerhalb der Kasernen lebten nur verheiratete Offiziere mit ihren Familien in Stadtbereichen, in die sich kaum ein Deutscher verirrte. Alle paar Jahre mal wurde mein Vater als (ehrenamtlicher) Kreisvorsitzender der CDU bei speziellen Anlässen ins Haus der Offiziere eingeladen, wo dann sicher auch „miteinander gesoffen“ wurde. Versuche von Lehrern zur Kontaktaufnahme mit der sowjetischen Schule wurden abgeblockt.
Man lebte ohne wirklichen Kontakt in zwei Welten nebeneinander her.
Eine weitere Prägung aus DDR-Zeiten ist zudem das Misstrauen gegenüber der veröffentlichten Meinung. Man hörte Ost- wie Westnachrichten und suchte die Wahrheit irgendwo dazwischen. Inzwischen ist das anders: Im Internet findet man jetzt jene „Wahrheiten“, welche die „Lügenpresse“ wohl verschweigt. Und nun ist es wie früher: „Der USA-Imperialismus will die Weltherrschaft, und der Russe hält mit gutem Recht dagegen.“ Die ganzen alten Parolen werden von Leserbriefschreibern aus der alten Nomenklatura, von Rednern auf „Friedenskundgebungen“ oder am Stammtisch wiedergekäut.
Heinz-Herwig Mascher, Hohen Neuendorf
Das Schubladendenken!
Solches Schubladendenken mit allen Klischees und Vorurteilen, und das im Jahr 2023, das ist Diskriminierung pur! Vielleicht sollte mal der Treuhandskandal unter Frau Breul und ihrem Vorgänger hintergründig und sachlich (!) aufgearbeitet werden! Russen und Ostdeutsche verband also das Saufen in der Kneipe, soso … Und was verband die Westdeutschen mit ihren amerikanischen Freunden?
Klären Sie mich bitte auf, aber auf Augenhöhe, Ihre Leser sind keine naiven Analphabeten. Einen schönen Tag noch.
Name ist der Redaktion bekannt
„Die Ostdeutschen und ‚die Russen‘ haben sich verbrüdert, haben einander geheiratet, Kinder gezeugt, miteinander gestritten.“ Das stimmt einfach nicht! Es gab kaum Ehen und auch so gut wie keine privaten Freundschaften. Suryo auf taz.de
Die Armee der Besatzer
In Jena waren circa 20.000 Soldaten stationiert, abgeschirmt in einer quasi eigenen Stadt mit eigenem Kino, Sportstadion und Schweineställen zur Selbstversorgung. Und viele haben die Sowjetarmee als Besatzer erlebt. Eines meiner frühesten Kindheitserlebnisse – wie meine Eltern 1968 weinend auf dem Balkon ihrer Wohnung in Bad Elster nahe der tschechischen Grenze standen, während unten die sowjetischen Panzer in einer Kolonne gegen Prag fuhren.
Manchmal taten einem die Russen leid, wenn sie ausgehungert in Kleingartenanlagen einbrachen, um etwas Essbares zu suchen oder wieder einer desertiert war, im Irrglauben gen Westen durchbrechen zu können und dann in einem Dorf (zum Beispiel Rehestädt und Bittstädt) aufgespürt und abgeknallt wurde.
Wir empfanden Ekel vor den Offizieren, die ihre Leute zur Schwarzarbeit vermieteten, gewildertes Wild verramschten und alles andere, was man zu Geld machen konnte. Und darüber das Banner der deutsch-sowjetischen Freundschaft, in der sich die Funktionäre sonnten, nebst organisierten Besuchen in der Schule und auswendig gelernten Gedichten und Liedern: „Pust wsegda budet solnze“. „Immer lebe die Sonne“. Verlogenheit hoch drei.
Nein, die neu entdeckte „Liebe“ zu Russland hat nicht mit dem DDR-Erleben zu tun, sondern mit der miefigen, mir sehr bekannten ostdeutschen Meckerhaltung. Hans aus Jena auf taz.de
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