piwik no script img

wortwechsel„Werden Kriege wieder normal?“ Auch in Europa?

Peter Unfried schrieb in der taz: „Die Gewaltoption ist Voraussetzung einer freien und emanzipatorischen Zukunft. Wir sollten auch das denken können.“ Antworten von Lesern

Ein Feuer der Hoffnung auf Frieden: Greenpeace zündete viele Kerzen auf einem Berg nahe Garmisch-Partenkirchen an – zum G7-Gipfel Ende Juni auf Schloss Elmau Foto: M. Probst/ap

„Die eine Frage: Werden Kriege wieder normal?“, taz vom 30. 7. 22

Keine Welt ohne Krieg

Peter Unfrieds kluge Analyse veranlasst zu einem etwas umfänglicheren Nachdenken über Krieg. Was, bitte schön, ist normal? Seit der Steinzeit zählen Historiker über 14.000 Kriege. Und selbst seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es weltweit mehr als 150 kriegerische Konflikte. Krieg, so scheint es also, war schon immer eine „normale“ Art der Auseinandersetzung innerhalb der menschlichen Gattung. Um es mit Michael Schmidt-Salomon zu sagen: Wir sind in der Schöpfung die einzige Spezies, die „irrsinnig genug ist, unser Leben für pure Fiktionen wie Gott und Vaterland, Ehre und Ruhm aufzuopfern“. Und die bis zur Atombombe immer weiter eskalierte Waffeneffizienz führte bisher „nur“ zum Kalten Krieg. Erstmals in der Geschichte aber ist die Menschheit in der Lage, sich selbst auszurotten. Da klingt Albert Einsteins Einschätzung fast noch optimistisch, dass wir nach einem dritten Weltkrieg weitere Auseinandersetzungen nur noch mit Steinen und Prügeln führen werden. Klaus-Ulrich Blumenstock,

„Unsere Art der Freiheit“?

In was für einer Welt leben Sie, Herr Unfried? Diese Welt ist und war immer unfriedlich. Darüber hinaus hat der Westen mit seiner „wertebasierten Politik“ seiner eigenen Industrie mit Waffengewalt immer wieder Hürden aus dem Weg geräumt, zuletzt im Irak oder in Libyen. Heute hat Russland unter Putin den Westen in seinem rücksichtslosen Anspruch auf Märkte und Menschen und deren Denken überholt. Ein Raubtierkapitalismus wie aus vergangenen Zeiten. Putin ist derjenige, auf den sich das männliche Gewaltpotenzial im Land einigen konnte, sozusagen der kleinste gemeinsame Gewaltnenner. Im Westen gilt es jetzt, unser Gegengewicht an Pluralität und Werten nicht zu vernachlässigen und dem militärischen Angriff alles unterzuordnen. Am Dnepr wird nicht nur das Leben der Ukrainer:innen, sondern auch „unsere Art der Freiheit und unsere nähere Zukunft“ verteidigt. Klaus-Peter Klauner, Brühl

Freiheit schon verloren

Peter Unfried will durch Militär eine freie und emanzipatorische Zukunft sichern. Das ist absurd, ist doch der autoritäre Gewaltapparat „Militär“ die Antithese zu Freiheit und Emanzipation.

Das ist auch schlicht unhistorisch. Versammlungsfreiheit und Datenschutz, Wahlrecht und Atomausstieg, Streikrecht und straffreie Abtreibung, ganz besonders das Recht, nicht morden zu müssen, auch bekannt als Kriegsdienstverweigerung: Alles in der weiteren Umgebung von Freiheit haben Menschen ohne Militär – mit Gewerkschaft, Blaustrümpfen oder Fridays for Future – gegen Menschen mit Militär (ihre eigenen Regierungen nämlich) erkämpft und tun es auch gerade jetzt, überall, Tag für Tag. Wenn Unfried hingegen seine Freiheit auf das Militär baut, hat er sie schon verloren.

Anselm Flügel, Heidelberg

Es gäbe keine Krise …

Würden wir annehmen, dass der Krieg eine Angelegenheit von Ukraine und Russland ist und wäre eine Einmischung des Westens nicht erfolgt – gäbe es keine Krise der Weltwirtschaft. Leider gibt es zwischenzeitlich solch eine „Vermischung“ der Probleme, dass ein Zurückrudern nicht mehr möglich ist. Unter Anleitung der USA und Nato machen Deutschland und der Rest des Westens den Krieg nahezu zu ihrem eigenen. Allein die Waffenlieferungen an die Ukraine durch den Westen haben unvertretbare Ausmaße angenommen. Keiner denkt an den Schrott, an die Toten, an die zerstörte Infra­struktur. Zwischenzeitlich machen viele Menschen ihren Protest geltend. Selbst der Ministerpräsident Michael Kretschmer äußerte jüngst: „Ich bin in Sorge um unser gesamtes Wirtschaftssystem.“ Und: „Der Krieg kennt nur Verlierer.“

Dietmar Philipp, Berlin

„Für meine Freiheit“?

Peter Unfried schreibt: „Die Gewaltoption ist Voraussetzung einer freien und emanzipatorischen Zukunft.“ Und er empfiehlt, diese Option denken zu können. Kein Wort von Verteidigung, Notwehr oder Nothilfe! Stattdessen: für meine Freiheit (wessen denn sonst?) nehme ich nicht nur Verletzung, Tod anderer Menschen in Kauf – und das Gemetzel (was anderes soll eine „Gewaltoption“ denn sein?) ist Voraussetzung meiner Freiheit! Dann – eine Drehung weiter – kann auch der Angriff legitimiert werden, wenn Freiheit als höchstes Gut gilt, was dem bürgerlichen Denken ja nicht schwerfällt.

Frank Peter, Amöneburg

„Dumm und naiv“?

„schlagloch: Weltmeister im Pazifismus. Deutsche Intellektuelle belehren die Welt mit ihrer Tugend und labeln Waffenlieferungen an die Ukraine als Kriegstreiber. Putin dürfte das gefallen“, taz vom 27. 7. 22

Ich finde es sehr bedenklich, wenn man hier Menschen, die sich für Frieden und gegen jegliche Kriege einsetzen, als dumm und naiv bezeichnet. Erreichen kann man nur etwas mit Diplomatie. Sie schreiben hier, dass schon mehrfach Verhandlungen mit Putin nichts gebracht haben und zahlreiche Abkommen seinerseits gebrochen wurden. Und wie sieht es damit bei der anderen Seite aus? Ich bin wahrlich kein Putin-Freund. Ich verurteile auch seine Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land. Aber im Krieg geht es auch um Interessen der Nato-Staaten. Allen voran der USA. Ebenso spielen auf einmal die Menschenrechtsverletzungen in den arabischen Ländern keine Rolle mehr.

Wenn es um Geld und Macht geht, ist jeder Saudi bei uns hochwillkommen. Egal, ob in seinem Land Frauen zu Tode gesteinigt werden und die Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Es ist auch egal, ob wir Putin-Öl und Putin-Gas aus anderen Ländern beziehen, die es uns teurer verkaufen, als wenn wir es direkt aus Russland bezogen hätten. Putin lacht sich doch ins Fäustchen. Er hat einen riesigen Markt in China, Indien, Afrika und Brasilien. Wer da zuletzt lacht?

Fred Behrendt, Maisach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen