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wortwechselBedingungslos „Grün“?Das Machtabkommen

Der virtuelle Parteitag der Grünen hat reale Überraschungen präsentiert: Bedingungsloses Grundeinkommen und euphorisches Bekenntnis zur Macht. Wird daraus grüne Hoffnung?

Habecks „Machtwort“ auf dem digitalen Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen Foto: Jens Jeske

Kein Heiligenschein

„Demütig zur Macht“, taz vom 21. 11. 20

2001, als im Bundestag über den Afghanistaneinsatz abgestimmt wurde, stimmten die Grünen für die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan. „Schwerter zu Pflugscharen“ war auf einmal Geschichte. Welch ein moralischer Abstieg. Ein Bekannter meinte, wenn sie ihre eigenen Söhne nach Afghanistan schicken müssten, wären die Hände unten geblieben. Mehr als 50 deutsche Soldaten mussten bisher in Afghanistan ihr Leben lassen. Für was? In der Flüchtlingspolitik standen die Grünen 2015 fest an Merkels Seite. Sie befürworteten die Grenzöffnung und die Willkommenspolitik. Unbegleitete Kinder haben die Grünen dennoch nicht in ihre Haushalte aufgenommen. Viele Entscheidungen der Politiker würden anders ausfallen, wenn sie unmittelbar mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert würden und als Vorbild vorangehen müssten.

Karl- Albert Hahn, Bad Salzungen

Echte Sicherheit?

„Comeback des Grundeinkommens“,

taz vom 19. 11. 20

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist der Versuch, das Modell Hartz IV und die Sozialstaatsgarantie auf neue Füße zu stellen. Die Nachteile sind allerdings gravierend: Es verdrängt den Anspruch auf den grundgesetzlich garantierten und einklagbaren Anspruch auf sozialen Schutz durch die Verfassung. Das BGE soll aus Steuermitteln finanziert werden und dafür gibt es keine Sicherheitsgarantie. Die Coronapandemie zeigt doch, wie in Krisenzeiten das Sozialsystem unter anderem durch Kurzarbeitergeld den gesellschaftlichen Zusammenhalt stützen kann. Das BGE von 1.200 Euro für alle 80 Millionen Menschen ist Utopie und gehört in das politische Traumland, weit entfernt von jeder Realität.

Hartz IV ganz abzuschaffen ist eine wichtige Aufgabe für die Grünen, das Ziel sollte als erstes erreichbar sein

Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg

Ende der Rebellion?

„Us and them. Sind Sie im Team ,Macht und Geld‘ oder im Team ,Kunst und Liebe‘?“, taz vom 21. 11. 20

Lieber Peter Unfried, große Klasse, wie sie pünktlich zum Parteitag der Grünen den RebellInnen in der Partei die Leviten gelesen und Frau Baerbock und Herrn Habeck ein wenig Schützenhilfe geleistet haben: Nicht Widerstand gegen Umweltzerstörung und Verelendung vieler Menschen sind angesagt, sondern „gemeinsame Sache“ mit denen, die über „Macht und Geld“ ja nicht nur verfügen, sondern sie wortwörtlich als Waffe gegen die meisten anderen einsetzen. Mit dem Beispiel Carola Rackete haben Sie Ihre Missachtung gegenüber denen zum Ausdruck gebracht, die nicht „Kunst und Liebe“, aber „Frieden und Gerechtigkeit“ als alternativlos schaffen wollen. Ausgerechnet die junge Frau, die gemeinsam mit der Besatzung ihres Schiffes viele – ich vermute, Hunderte – Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat, gegen die „Macht“ der gleichgültigen PolitikerInnen öffentlich zu diskreditieren, ist beschämend. Sie bringen auf diese Weise auch noch ihre Verachtung für all die zum Ausdruck, für die „Macht und Geld“ zu widerstehen keine Sofapupserei, sondern aktives Handeln bedeutet. Und ich hoffe, dass viele – junge und ältere – RebellInnen bei den Grünen sich nicht entmutigen lassen, sondern begreifen, dass Robert Habecks neue Lieblingsvokabel „Macht“ das Ende der Hoffnungen vieler Menschen signalisiert, mit dieser Partei könnte das Bemühen um eine „bessere Welt“ vielleicht erfolgreich sein.

Günter Rexilius, Mönchengladbach

„Fridays for Future wirft den Grünen Halbherzigkeit im Kampf gegen die Erderhitzung vor. Wie gefährlich ist das für die Ökopartei? Die Gradwanderung“, taz vom 21. 11. 20

Bewegungsfreiheit?

Dieser Versuch, die Ehre der Grünen zu retten, beruht auf einem Missverständnis: Ein Grundsatzprogramm sollte beschreiben, was eine Partei täte, so man sie denn ließe. Es sollte nicht beschreiben, was die Partei meint, einem Koalitionspartner zumuten zu können. Und es sollte auch nicht beschreiben, mit welchen Positionen die Partei meint, die 20-Prozent-Hürde nehmen zu können. Das Schicksal der Baden-Württemberg-Grünen sollte eine Warnung sein. Diese sind zwar formal an der Macht, haben aber wenig Bewegungsfreiheit zwischen einem konservativen Koalitionspartner und den Erwartungen der von der CDU übergelaufenen bürgerlichen Grünen-Wähler. Und sie haben bereits die wichtigen OB-Posten in Freiburg und Stuttgart wieder verloren.

Thomas Damrau, Böblingen

Selbstzerstückelung?

Reale Mehrheits- und Machtverhältnisse spielen keine Rolle, wenn es um „das Richtige“ und „das Falsche“ geht? Die stärkste Partei ist die CDU, an ihr vorbei wird niemand Großes durchsetzen können. Punkt. Die Grünen haben einen gewissen Rückhalt in der gebildeten Mittelschicht, aber weiten Teilen des Bürgertums und des Proletariats ist ihr Auto dann doch wichtiger als das Klima oder globale Gerechtigkeit. Links-grüne Selbstzerstückelung wird Herrn Merz sicher erheitern. Sven Gormsen, Tübingen

Klimakampf und Macht?

Beim Lesen dieses Artikels über die Befindlichkeiten der armen Grünen kamen mir die Tränen. Sie müssen sich jetzt tatsächlich zwischen ihren Klimabekenntnissen und Machtwillen entscheiden. Eine konsequente Streichung von Subventionen für die Fossilen wäre effektiv und würde kaum Wählerstimmen kosten. Diese Schritte werden jedoch auch von Landesregierungen mit Grünen-Beteiligung nicht vollzogen – nur ein Beispiel ist die öffentliche Förderung des Regionalflughafens Baden-Airpark in Baden-Württemberg. Das klimaschädliche Freihandelsabkommen Ceta könnte mit den Stimmen der Landesregierungen mit Grünen-Beteiligung im Bundesrat scheitern. Damit könnte man schon mal beginnen, oder? Birgit Rüdinger, Karlsruhe

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