wortwechsel: „Liebe Mitgefangene!“ Gut, dass es euch gibt!
Ab und zu erreichen uns Briefe, die einer anderen Zeit anzugehören scheinen – mit der Schreibmaschine getippt oder handgeschrieben. Ein Dankeschön an unsere Hochbetagten
Pandemie vor der Tür
„Auf Abstand“, taz vom 4./5. 4. 20
Lichtblick
Die Schreckensbilder/ kamen nicht vor meine Augen/ der Menschheit Angstschrei schwieg/ als ich an einem kleinen See/ in einem menschenleeren Park/ auf einer grün gestrichenen Bank/ den sanften Zärtlichkeiten/ kleiner Wellen zusah/ und abends dann/ am dunklen Himmel spähend/ am Sternenlicht mich festhielt/ viel Kraft gewonnen/ keine Fernsehbilder/ keine Rundfunknachrichten/ keine Zeitungslektüre/ das Läuten des Telefons nicht beachtet/ ein unbeschwerter Tag/ inmitten einer Pandemie/ vor der ich heut die Türen schloss.
PS: Stören Sie sich bitte nicht an der Zeile „keine Zeitungslektüre“ – das gilt nur für einen Tag! Der Verfasser des „Lichtblicks“ ist im 92. Lebensjahr. Werner Gille, München
Schade, sagte Jupiter
„Bunte Geschichten gesucht“,
taz vom 28./29. 3. 20
Ich kann leider mit der neuen Technik nicht umgehen. Mailen kann ich auch nicht. Deshalb nur diese Notiz auf einer Serviette: Es hüpfte und piepste eine Meise im Bett/ Das Zwischendurch ist die Hauptsache/ Regentonne und Lieblingsdecke zusammen/ sind immerhin zum Schwimmen und Schlafen/ Einmal wollte ich eine Geschichte basteln/ und fand leider keine Ideen/ Neulich schlurfte ein Nasenbär zur Schnecke/ der Marmelade wollte, die sie kochte/ Das Universum ist unendlich/ Ich flog von der Erde zur Sonne/
Schade, sagte Jupiter – und gibt auf.
W. Wilmsmeyer, Hamburg
Papierstücke...
„Klopapier-Mangel in Corona-Zeiten“,
taz vom 25. 3. 20
Als (Kriegs-)Kind kletterte ich gern über den Jägerzaun unseres Gartens in die benachbarte Gärtnerei. Dort gab es ein Plumpsklo. Man hockte sich über das Loch und ließ seine Exkremente in die Tiefe plumpsen. Klopapier? An der rechten Wand baumelte ein Fleischerhaken. Handtellergroße Papierstücke, aus der Zeitung zurechtgeschnitten, waren daran aufgespießt. Deren konnte man sich bedienen. Somit gingen den Klohockern die Zeitungsmeldungen im wahrsten Sinne des Wortes „am Arsch vorbei“.
Irmgard Konrad, Paderborn
Die anderen Schwachen
„Das härteste Mittel: Ausgangsbeschränkungen“, taz vom 21. 3. 20
Liebe Mitgefangene der Angst, die Kanzlerin sagt, es geht um die Solidarität mit den Schwachen. Ja! Aber warum nur mit denen, die unter dem Coronavirus leiden und sterben müssen? Wo ist unser Mitgefühl für all die anderen Schwachen? Die Tausende, die durch multiresistente Keime sterben, weil wir Antibiotika in der Massentierhaltung gestatten, statt diese Art der Tierquälerei gänzlich zu verbieten? Für die Flüchtenden, die nicht vor einem „Krieg“ gegen Corona fliehen, sondern vor sehr realen Kriegen mit Bombenhagel, Erschießungen, Vergewaltigungen? Für jene, die auch in europäischen Lagern auf engstem Raum, mit unterirdischen hygienischen Bedingungen vegetieren, verzweifeln und ebenfalls Angst vor dem Virus haben? Lasst Corona nicht Herz und Hirn infizieren! Lasst uns gegen die Einengung der öffentlichen Medien kämpfen! Die Wirklichkeit ist nicht auf Corona beschränkt. Lasst uns Solidarität und Mitgefühl praktizieren für uns selbst und all unsere Mitmenschen, ohne Scheuklappen der Angst! Beate Eichhorn, Lüneburg
„Das wäre ein neuer Generationenvertrag“, taz vom 6. 4. 20
Einsamkeit kann töten
Als 65-jährige noch im Berufsleben stehende und voll funktionsfähige Person lese ich mit Erstaunen die Vorschläge Boris Palmers, die das aus der Nazizeit bekannte euphemistische Wort „Euthanasie“ (eu: schön; thanatos: der Tod) mit dem Wort „Generationenvertrag“ umschreiben. Palmer sagt unter anderem: „Ein Ehepaar mit 80, rüstig und gesund, darf zu zweit im Wald spazieren gehen. Aber sie bekommen alles, was sie brauchen, nach Hause geliefert, gehen nicht mehr in die Stadt und treffen keine Freunde und Verwandte.“ Ebenso Fakt ist doch auch, dass bei alten Menschen die Sterblichkeit und sogar die Suizidrate anwächst, wenn man ihre sozialen Kontakte derartig reduziert. Alte Menschen sind diejenigen, die wahrscheinlich Herrn Palmer außer der Gnade der späten Geburt ein Studium und relativ sorgenfreies Leben ermöglicht haben. Sollte dieser Vorschlag eines sogenannten Generationenvertrags durchgesetzt werden, werde ich mich gern mit Herrn Ströbele in einer Sammelklage wieder-finden. Christine Halm, Bielefeld
„Schutzquarantäne“?
Liebe tazzen, Boris Palmers Vorschlag wäre ein neuer Generationen-und-Kranken-Gesunden-Separatismus.
Mit 60 gehe ich an manchen Tagen sicher als 58 durch, je nach Tagesform auch mal als 66! Ich „freue“ mich schon auf die offiziell beauftragten oder gefühlten Gesundheitspolizist*innen, die die Gesichtskontrolle, die Passkontrolle oder gleich die „Schutzquarantäne“ (oh weh, oh weh) veranlassen. An Boris Palmer: Was meinen Sie, wie viele Menschen an der Isolation zugrunde gehen werden oder eine dramatische Verschlechterung ihrer geistigen und körperlichen Leistungen erfahren? Ist das eingepreist oder schlicht egal? Petra Große-Stoltenberg, Hattingen
Palmer (47) will Kretschmann (72) wegsperren!
Putschversuch in Baden-Württemberg: Palmer will Teile der Landesregierung im Homeoffice festsetzen. Kretschmann (72), Hermann (68), Erler (74) sollen über Monate Ausgehverbot erhalten. Bei Wasser und Brot und anderen Lebensmitteln, sofern sich ein Lieferservice findet. „Erst meine Fakten, dann die Moral von der Geschicht“ – unter diesem Titel kursiert schon eine Regierungserklärung. In Tübingen bilden sich zunehmend Widerstandsgruppen: „Not my OB“.
Christoph Ehrensperger (70), Tübingen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen