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wortwechselDas große Ost-West-Gestöhne

Wie sind die Ergebnisse der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen zu interpretieren? War es Protest? Was ist links, wo ist die Mitte? Was ist zu tun?

Schönes Blau vor grauem Himmel. Am Wahltag in Dresden Foto: Karsten Thielker

DeutschSchland nervt

„This Land is your Land“, taz vom 3. 9. 19

Viele Westdeutsche begreifen den Osten immer noch nicht als ihr Land. Ja. Ich zum Beispiel. Mir geht nämlich das dauernde Gezerre auf die Nerven. Vor allem DeutschSchland. Mein Land ist eher das so von Schwarzwald bis Vogesen, und da nerven schon Schwaben, mit denen wir zwangsverbunden wurden, für die wir aber kaum existieren. Übrigens – nur damit sich der Osten nicht ausgegrenzt fühlt – auch der Norden ist nicht mein Land. Polen, Ungarn, Italien ebenso wenig. Dagegen ist Frankreich mein Land. Nach zig Jahrzehnten könnte man begreifen, dass Ost-West-Gestöhne und -Gezerre nichts bringt.

Dabei haben die Landtagswahlen doch einen klaren Hinweis gegeben, wie AfD-Wähler gewonnen werden können: Die Politik muss in den benachteiligten und entvölkerten Regionen handeln, statt nur vom Sichkümmern zu reden. Und diese Regionen gibt es nicht nur im Osten. Wo bleibt in der Mieten- wie in der Gerechtigkeitsdebatte der Hinweis auf Leerstand und Billigstmieten in den abgehängten Regionen? Sie wieder „anhängen“ wäre wirkungsvoller, als einen kaum effektiven Mietendeckel einzuführen. Breitband, Nahverkehr, Schnellbahnen, subventionierte Belebung der Ortszentren. Denn es geht nicht darum, Deutschland wieder als eine Nation von Ost bis West aufzurüsten – da wäre mir Europa wichtiger –, sondern es geht darum, die Vielfalt zu unterstützen und dennoch strukturelle Benachteiligungen so weit wie möglich auszugleichen. Gerolf Heberling, Karlsruhe

Partei der Egoismen

„This Land is your Land“, taz vom 3. 9. 19

Ich, Saarländerin, war schon zu DDR-Zeiten auf Besuch im Osten Deutschlands und fahre seit der Wende fast jedes Jahr in Urlaub in diese Region. In diesem Jahr war es die Elbe von Magdeburg bis zur Grenze mit dem Fahrrad. Was ich gesehen habe, hat mich sehr gefreut. Ich habe keinen Unterschied zu meinem Bundesland wahrnehmen können, auch nicht im Gespräch mit den Menschen.

Ich glaube nicht an eine Protestwahl, sondern an eine klare Entscheidung für die Partei der Egoismen. Man hat die gewählt, die versprechen, es den anderen zu zeigen und rücksichtslos die „Interessen der Einheimischen“ (nicht nur in Abgrenzung zu unseren ausländischen Mitbürgern, sondern auch in Abgrenzung zu deutschen Menschen aus anderen Bundesländern) zu vertreten. Dementsprechend halte ich es für einen Fehler, weiterhin den Osten Deutschlands als Entwicklungsregion in den Vordergrund zu stellen. Wenn die „Abgehängten“ im übrigen Deutschland spüren, dass man mit einem derartigen Wahlverhalten zum Erfolg kommt, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die rechten Parteien auch dort mit Wahlergebnissen von über 25 Prozent rechnen können.

Es wäre höchste Zeit, die Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen, denen unser System nur wenig Spielraum lässt, in Ost und West herauszuarbeiten, anstatt sie gegeneinander aufzuhetzen.

Hilde Theobald, Saarbrücken

Hier ankommen

„Ich habe etwas Angst“, taz vom 4. 9. 19

Ich arbeite als Logopädin, und seit 2018 habe ich sechs syrische Flüchtlingsfamilien in der Praxis kennengelernt. Unser Kontakt bezieht sich immer auf den Spracherwerb der Kinder dieser Familien. Unsere gemeinsame Zeit geht also über viele Monate. Ich erlebe das große Interesse und die ehrliche Bereitschaft der Familien, hier anzukommen, dazuzugehören. Die Eltern unterstützen ihre Kinder, der Austausch zwischen LehrerInnen, ErzieherInnen, Eltern und mir fruchtet, die Familien sind sehr dankbar, und die Kinder erleben ihre Fortschritte, während ihre Sprache und ihr Sprechen sich verbessern, ihr Kontakt mit anderen Kindern spontaner, lustiger, echter wird und sie mehr und mehr in den Gruppen ihres Kindergartens, ihrer Schule ankommen.

Alle Eltern besuchen Sprachkurse und nehmen jede Gelegenheit wahr, ins ­Gespräch zu kommen – sei es noch so schwierig. Außerdem weiß ich von allen Familien, dass mindestens eine Person bereits arbeitet (und Steuern zahlt).

Mein Verdacht ist, dass es (nicht nur in Ostdeutschland) viel zu wenige wirkliche Kontakte mit „den Flüchtlingen“ gibt. Über einen Menschen reden ist immer billiger als mit ihm. Die AfD weiß nicht, wovon sie spricht. Es geht um die mangelnde Erfahrung, das nicht stattgefundene Gespräch mit „denen“, über die sich so viele aufregen, die sie aber nicht kennenlernen wollen. Gila Endemann, Düsseldorf

Das ist boshaft

„Ein Angriff auf innerparteiliche Gegner*innen“, taz vom 4. 9. 19

Daniél Kretschmar mag in Bezug auf Sahra Wagenknechts Motive nicht völlig falsch liegen, doch seine aus Verdrehungen und Unterstellungen bestehende Kritik missfällt mir. Wagenknechts Unbehagen darüber, AfD-Wähler*innen „pauschal als Rassisten“ zu beschimpfen, wird bei Kretschmar zum „ständigen Beharren auf der potenziellen Wählbarkeit für Rassist*innen und Protonazis“. Eine bemerkenswerte Logik! Gegen Ende wird es noch boshafter: Er unterstellt Wagenknecht die Absicht, „vor dem Wahlvolk gerade so reaktionär zu erscheinen, dass man den richtigen Nazis ein paar Stimmen abjagen kann“. Abgesehen von seiner fragwürdigen Unterscheidung zwischen „richtigen“ und offenkundig „falschen“ Nazis: Das ist keine Gesellschaftskritik, das ist billige Polemik! Helmut Maurer, Heidelberg

„Der vergeigte Aufbruch“, taz vom 2. 9. 19

Der Artikel bringt eine faire Darstellung der Entwicklung von „Aufstehen“. Das Interesse innerhalb des linken Spektrums war groß, jedoch fehlte eine klare Handlungsperspektive, die durch lokale Aktivitäten nicht ersetzt werden konnte. Die taz hatte in diesem Zusammenhang leider eine sehr negative Berichterstattung. Mir als taz-Genosse treibt es heute noch die Röte ins Gesicht, wenn ich an die Häme einiger Artikel denke, die diesen Versuch von Anfang an begleiteten. Insbesondere der Chefreporter Peter Unfried arbeitete sich daran ab, indem er Sahra Wagenknecht ganz zufällig mit den Begriffen „national“ und „sozialistisch“ in Verbindung brachte und sie in die Nähe der AfD rückte. Eine Perspektive für „links“ fehlt heute mehr als vor einem Jahr und kann sich nur aufgrund einer intensiven Diskussion klassenpolitischer Themen herausbilden. Klaus Schmeding, Hamburg

„Die Mitte“ gibt es nicht

„Die Schwäche der Mitte“, taz vom 3. 9. 19

Die neue Konfliktlinie verläuft zwischen weltoffenen, ökoliberalen Städtern und gefühlten Verlierern in der Provinz. So weit meine eingeschränkte Zustimmung. Eingeschränkt, denn schon die Generalisierung der Ersteren als „Städter“ und der Letzteren als „Provinzler“ ist der nächste Irrtum, weil stark vereinfachend. Ein weiterer Irrtum: Weder ist diese Konfliktlinie neu, noch gab es je eine „Mitte“, die sich jetzt auflösen könnte. Denn genauso wenig, wie es „die Deutschen“, „die Frauen“, „die Christen“ etc. gibt, gibt es „die Mitte“. Deshalb wird sie hier zu Recht als „magischer Ort der Politik“ bezeichnet.

Aber sehr schulmeisterlich und faktisch unmöglich der Ratschlag an eine Partei, sie müsse „konservativer werden“ oder „deutlich linker auftreten“. Welches Demokratiebild steht denn dahinter? Eine Partei ist doch eine Ansammlung von Tausenden oder gar Hunderttausenden Menschen, die ähnliche Interessen und eine ähnliche Weltsicht haben, vielleicht noch einer ähnlichen Strategie anhängen, dies durchzusetzen. Nur dafür haben sie sich zusammengefunden.

Auch wenn jetzt einE tatsächlich scharfe/r AnalytikerIn in einer Partei wüsste, wo es langgehen muss, dann setzt er/sie als gut vernetzte/r RhetorikerIn diese Linie vielleicht durch, überzeugt eventuell sogar einige. Aber trotzdem wird das Ergebnis desaströs, abzulesen an der Geschichte von New Labour und der Schröder/Gabriel-SPD. Und: Die Mitte ist und bleibt ein rein statistischer Begriff!

Stephan Just, Kusel

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