wortwechsel: Skandal um Österreich – EU-Wahlen zu langweilig?
Wer hatte das größte Interesse an einem Ibiza-Gate kurz vor den EU-Wahlen? Und wer hat es produziert? Ein Fall für taz und Böhmermann? Das denken jedenfalls einige unserer Leser
„Späte Reißleine“,taz vom 20. 5. 19
Warum Spiegel und SZ?
Hatten wir nicht mal einen Bundeskanzler Helmut Kohl, der zusammen mit dem ehrenwerten späteren Finanzminister Wolfgang Schäuble Spenden in Millionenhöhe entgegennahm? Die Spender wurden nie bekanntgegeben, noch weniger die damit einhergehenden Versprechungen. Hatten wir nicht mal einen Ministerpräsidenten Roland Koch in Hessen, der Millionenspenden entgegennahm? Bis heute ist nicht bekannt, wo das Geld herkam, und er trat auch nicht zurück. Und hatten wir nicht mal einen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als SPD-Kandidat plötzlich die Unterstützung der Bild-Zeitung hatte, die Krone unserer Presselandschaft und zuvor rechtes Hetzblatt gegen alles, was links und grün war? Nach seiner Amtszeit wurde Schröder umgehend von echten russischen Oligarchen bei der Gazprom eingesetzt, deren Northstream er zuvor mit Putin beschlossen hatte. Ein Projekt von ganz anderen Ausmaßen, als ein paar Straßen in Österreich zu bauen …
Auch ich verspürte Freude, als ich von den provozierten entlarvenden Ideen des Herrn Strache hörte, die dann auch zu seinem umgehenden Rücktritt führten. Sollten sich Spiegel und SZ anmaßen, angesichts der obigen erwähnten Ereignisse kurz vor der Europawahl und nach dieser heimlich gefilmten Ibizaparty unsere österreichischen Nachbarn zu verurteilen?
Warum bekamen sie diesen Film zugespielt und nicht die Kronen-Zeitung? Dies interessiert mich vielmehr als dieser zugekokste und besoffene, in Allmachtsfantasien schwelgende Ex-Nazi, der auf wundersame Weise zum Vizekanzler wurde. Meine Hoffnung ist, dass taz und Böhmermann etwas Licht ins Dunkel bringen. Dass sich im Moment kein Schwein mehr für die Europawahl interessiert, ist sehr bedauernswert. Helmut Mai, Fulda
Ibiza-Gate – und nun?
Sebastian Kurz’außergewöhnliches Regierungsexperiment ist exzeptionell gescheitert, womöglich mit Auswirkungen über Österreichs Grenzen hinaus. Denn der Beweis, dass Rechtspopulisten demokratisch verliehene Macht ebenso demokratisch repräsentieren und einsetzen für das Volk, dessen Namen sie eigentlich gar nicht hoch genug halten können, wurde mitnichten erbracht.
Vielleicht öffnet Ibiza-Gate dem einen oder anderen Europäer also doch noch die Augen darüber, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit niemals und nirgends selbstverständlich sind. Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram
„Die Retter der Sozialdemokratie?“,
taz vom 21.5.19
Die Rechte geschwächt?
Die Regierungskrise in Österreich sollte uns nicht dazu verleiten, dass wir etwa meinen, die Rechtspopulisten und Nationalisten in ganz Europa würden nun geschwächt aus dem Skandal um die FPÖ hervorgehen! Mitnichten, denn die Anhänger von Salvini, Orban, Le Pen, Meuthen sind unbelehrbar. Ihre Gleichgültigkeit und Einfältigkeit gegenüber demokratischen Prozessen wird sich dadurch nicht erschüttern lassen. Ein ganzes Stück Arbeit steht noch vor uns, denn wir alle sind gefordert, wenn wir uns unsere demokratische Gesellschaft auch in Zukunft erhalten wollen!
Thomas Henschke, Berlin
Kröten für Herrn Kurz
In vino veritas. Auf deutsch: „Im Wein liegt die Wahrheit“. Wenn du die wahren Gedanken und Absichten eines Menschen erfahren möchtest, dann lass dich auf ein Saufgelage mit ihm ein. Der Vizekanzler eines nicht unbedeutenden westlichen Staates muss nach der Veröffentlichung des Skandalvideos öffentlich einräumen, dass er mit „alkoholbedingtem Macho-Gehabe“ die attraktive Gastgeberin beeindrucken wollte, indem er sich „prahlerisch wie ein Teenager“ verhielt. Tiefer kann man kaum sinken.
Tragisch aus meiner Sicht ist, dass dieser Politskandal auch den hoffnungsvollen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz mit in den Abgrund zu reißen droht. Kurz wollte diese Koalition mit der FPÖ nicht, musste diese Kröte mangels Alternativen jedoch schlucken. Die politischen Verhältnisse in Österreich sind kompliziert. Eine erneute große Koalition wäre den österreichischen Bürgern nicht zu vermitteln gewesen. Dennoch sind es vor allem deutsche Politiker, die sich gegenüber Österreich auf hochmütige Weise als die „Moralweltmeister“ repräsentieren. Alfred Kastner, Weiden
Rechtsgüterabwägung
„‚Zack, Zack, die ‚Krone‘ verkaufen‘“,
taz vom 20. 5. 19
Kritiker im öffentlichen Raum wird es immer geben. Doch an eine Rechtsgüterabwägung zwischen geschützter Privatsphäre und möglichen geplanten Straftaten eines hochrangigen Staatsträgers sind hohe rechtliche und moralische Maßstäbe anzulegen. Spiegel und Süddeutsche Zeitung haben der Demokratie mehr als nur geholfen; diese wird durch die Pressefreiheit garantiert, und dass muss uneingeschränkt auch so bleiben.
Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg
Wahl mit Geheimdienst
„Schweigen, dann herunterspielen“,
taz vom 20. 5. 19
Ich wünsche den Nazis alles Schlechte, aber trotzdem müssen wir uns bewusst machen, dass hier mit geheimdienstlichen Mitteln in den Wahlkampf eingegriffen wird. Oder glaubt jemand, der Spiegel hätte selber den anonymen Lockvogel in Szene gesetzt und mit versteckter Kamera gefilmt? Wenn so in einen Wahlkampf eingegriffen wird, wie würde dann eingegriffen, wenn wieder eine chancenreiche Linke kandidierte? Warum wurde das Material zwei Jahre lang zurückgehalten? Handelt es sich um Journalismus oder um Kompromat?
Andererseits haben nun die Strache- und AfD-Wähler/innen einen tiefen Blick in ihren Spiegel getan. Wird bei ihnen irgendeine kritische Erkenntnis daraus folgen? War vorher nicht zu erkennen, wer Strache ist? Rosmarin, taz.de
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