wortwechsel: Chemnitz – ein Experimentierfeld?
Faschistische Schlägerbanden auf Menschenjagd in Sachsen? Ist die Unionspolitik für diese Enthemmung mitverantwortlich? Und was ist ein „anständiger Konservativer“? McCain?
„Merkel muss hin!“, taz vom 28. 8. 18
„Volkszorn“?
Es ist mir unverständlich, wie ihr die Ressentiments des gewalttätigen, rassistischen Mobs in Chemnitz mit „Volkszorn“ benennen könnt. Wenigstens Anführungszeichen oder am besten ein ideologiefreies Wort hätte ich erwartet. Dass die Rechten sich als „das Volk“ bezeichnen, ist schlimm genug. Aber das sollte der denkende Mensch doch nicht nachmachen. Johannes Hartinger, Oberhausen
Chemnitz 1989
Die Ereignisse in Chemnitz haben meine Erinnerung an den Dezember 1989 geweckt: Über die DRK-Bettenbörse hatten wir zwei Studentinnen aus Rostock für zwei Nächte bei uns in Hamburg einquartiert. Aus der Stadt zurückgekehrt, fragten sie uns unbedarft nach den vielen Ausländern bei uns, denn das sei ja schlimmer als bei ihnen die „Fidschis“ und die „Schwatten“. Dann folgten Hasstiraden auf die DDR-Ausländer, die ihnen immer den Jeansstoff wegkaufen würden, ohnehin bei ihrer Versorgung bevorzugt seien und lauter Waren und Lebensmittel bekämen, die dem „ehrlichen Arbeiter“ vorenthalten würden. Verschwörungstheorie schon damals. Heute muss man wohl feststellen, dass dieser strukturelle Rassismus an die Folgegeneration weitergegeben wurde. Unter 30-Jährige können keine DDR-Erfahrung haben. Trotzdem greifen dieselben Mechanismen: Kaum ein DDR-Bürger hatte private Kontakte mit Vietnamesen oder Angolanern, die ja oft fast kaserniert gelebt haben, wusste aber genau, wer ihm die Butter vom Brot nimmt. Viele der Pegida- und AfD-Anhänger haben, dank geringer „Ausländerquote“ bei ihnen, keinen privaten Kontakt zu Nichtdeutschstämmigen, wissen aber genau, dass der Flüchtling, der angeblich „alles vorne und hinten reingestopft bekommt“, schuld an ihrer Misere ist.
Wir brauchen jetzt keine „linke Sammlungsbewegung“. Wir brauchen eine Manifestation all derer, denen das Grundgesetz und die allgemeinen Menschenrechte nicht am Arsch vorbeigehen, um deutlich zu machen, dass selbst 30 Prozent bei Wahlen noch lange nicht die Mehrheit oder gar „das Volk“ sind.
André Podszus, Norderstedt
McCain? Kriegstreiber
„Tod eines Anständigen: Der letzte Konservative“, taz vom 27. 8. 18
In dem Lobartikel zum Tode von John McCain vergaß man zu erwähnen, dass sein außenpolitisches Credo aus einem Wort bestand: Krieg. Er war aktiv an folgenden Kriegshandlungen (und zwar stets laut nach maximaler Vernichtung rufend) beteiligt: die Granada-Invasion, Todesschwadronen in El Salvador und Guatemala, Kontras in Nicaragua, Panamakrieg, Irakkrieg (laut und stolz gegen den Willen der Bevölkerung), Serbienkrieg, Kosovokrieg, Libyenkrieg, Syrienkrieg und Afghanistankrieg. Er lehnte Diplomatie zugunsten kriegerischer Handlungen ab – je aggressiver, desto besser: gegen Nordkorea, Georgien, Iran und Russland, lobte Obama nur wegen seiner kriegerische Handlungen, rügte ihn hingegen zum Beispiel für seinen Rückzug aus Syrien. Und seine Kriegsheldentaten? Wie heldenhaft ist es, meist schutzlose Vietnamesen zu bombardieren? Zur Erinnerung: Massenvergewaltigung, Massenverstümmelungen, Folter, Niederbrennen von Dörfern. Alles dies wurde nicht erwähnt, hingegen: wow!, er fand Trumps Pussygrapschen nicht gut … Ist das wirklich als Ehrenmerkmal erwähnenswert? Kurz: Kann man einen solchen Barbaren als „anständigen Konservativen“, als Vertreter von „verloren gegangenen Werten“ titulieren?
David Auerbach, Wangen im Allgäu
Extremismustheorie
„Probe für den rechten Volksaufstand“, taz vom 28. 8. 18
Schade, dass der Kommentar am Ende der seltsamen Extremismustheorie, die in Sachsen für Repressionen nach links und Milde nach rechts sorgt, das Wort redet. Das „Beide Seiten“-Argument kennen wir ja mittlerweile auch schon von Trump (siehe seine Reaktionen nach Charlottesville). Gerade in Sachsen hat man der antirassistischen/antifaschistischen Jugend- und Aufklärungsarbeit durch die Extremismustheorie die finanziellen Mittel entziehen können. Die Antifa stellt sich nicht einfach gegen die Nazis, um dumme Sprüche zu machen, sondern versucht diese zu provozieren und zu beschäftigen, damit sie nicht dazu kommen, in der Stadt auf Hetzjagd zu gehen und einzelne Menschen zu verfolgen, die ihrem Bild vom Deutschsein nicht entsprechen. Die Antifa hat eine lange Tradition als linke Selbstverteidigungsstruktur. Ich hätte mir ein Wort der Solidarität gewünscht. Ich empfehle diesen Bericht über die rechte Szene und Antifa-Strategien in Chemnitz:
www.freie-radios.net/90670
Lutz-Maur auf taz.de
„Katastrophengebiet der Demokratie“, taz vom 27. 8. 18
Experimentierfeld?
Sachsen ist seit Jahrzehnten, dank Unionsalleinherrschaft, konservativ-reaktionäres Experimentierfeld schlechthin. Nicht Think-, sondern rechtslastiger Gärtank, den man mit den schärfenden Äußerungen, beispielsweise eines Horst Seehofers, hier und da gezielt „druckentlasten“ lässt. Angst der CDU/CSU vor Pegida und der AfD? Keineswegs, denn da kann man ausprobieren, was der Staat für die Zukunft in Sachen Ordnung und Sicherheit so brauchen könnte. Wir werden wieder alles gut finden, was den rechten Mob scheinbar bändigt. Ich rate deshalb dazu, ganz genau zu beobachten, was Politik aus der Situation in Sachsen macht. Ich setze schon mal 50 Euro auf die Forderung, die Bundeswehr auch im Innern einsetzen zu können.
Weidle Stephan auf taz.de
Die Ernte
Seehofer erntet, was er durch seine aggressive Rhetorik gesät hat. Dumm nur, dass ausgerechnet er Innenminister und für die Polizei zuständig ist. Wie nennt sich das? Interessenkonflikt?
Mainzerin auf taz.de
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