wiener melange und deutscher schrott von MICHAEL RINGEL :
Ich merkte das erste Mal, dass etwas nicht stimmte, als der Mann vor mir am Tiefkühlschrank die letzten beiden Eispackungen nahm, sich zu mir umdrehte und mir eine übergab mit den Worten: „Wir teilen uns das Eis.“ Daran stimmte tatsächlich nichts, denn es war ein Tagtraum. In Wirklichkeit hatte der Mann sich auf meinen laut vernehmlichen Seufzer hin von mir weggedreht und die Eispackungen triumphierend in seinem Einkaufswagen verstaut. Dann war er mit meinem Eis davongezogen. Wir leben eben nicht in der besten aller Produktwelten. Was ich jedes Mal daran merke, dass ich wieder im fünften oder sechsten Supermarkt bin auf der Suche nach „Wiener Melange“.
„Wiener Melange“ ist eine Eissorte von Mövenpick. Und es ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs, den Mövenpick und Häagen-Dazs, aber auch das ZDF und RTL und viele andere Unternehmen bilden. Um nämlich an mein Lieblingseis zu gelangen, muss ich regelmäßig durch mehrere Supermärkte streifen. Dort gibt es zwar alle möglichen Sorten von Mövenpick, aber sie schmecken einfach nicht. Dennoch liegen in den Kühlungen immer die gleichen Sorten – nur eine nicht: „Wiener Melange“ mit ihren schokolierten Mokkabohnenstückchen. Ein Meisterwerk. Leider nirgendwo erhältlich. Weil die wenigen Packungen, die auf den Markt kommen, sofort von Kennern wie mir aufgekauft werden. Kürzlich habe ich mir eigens einen neuen zwei Meter elf hohen Kühlschrank mit einem gigantischen Eisfach zugelegt. Wenn ich die „Wiener Melange“ irgendwo entdecke, schlage ich sofort zu. Doch die Coups werden immer seltener.
Ich hatte schon einmal den gleichen Fall mit einem Eis: „Belgian Chocolate“ von Häagen-Dazs. Für die Zartbittersplittercreme hätte ich meine Oma verkauft. Doch die Sorte ist neuerdings aus den meisten Märkten verschwunden zugunsten des ungenießbaren „Choc Choc Chip“. Schon der Name klingt scheußlich nach Elektroschock. Das kauft bestimmt auch keiner. Nach Ablauf der Mindesthaltbarkeit wird es todsicher vom Personal vernichtet.
Dann wurde kürzlich „Mein Name ist Earl“ von RTL aus dem Programm geworfen. Wie so oft waren die Einschaltquoten schuld, dass die einzige komische Sendung, die im deutschen Fernsehen lief, nach nur vier Folgen nicht mehr ausgestrahlt wurde. Und wieder muss ich auf die Kauf-DVD warten. Wie seinerzeit bei den „Sopranos“, der besten Serie des Jahrzehnts, die das ZDF nachts versendete und mittendrin absetzte.
Lange fragte ich mich, wie Deutschland Jahr für Jahr Exportweltmeister werden kann. Dieses unfähige Land bringt schließlich nur schwachsinnige Händler, Verkäufer, vor allem aber Käufer hervor. Neuerdings weiß ich allerdings, dass die exzellenten Exportzahlen durch die Ausfuhr von Schrott aller Arten zustande kommt. Ja Schrott, den lieben die Deutschen. Egal ob Eishersteller oder Programmplaner, Großeinkäufer oder Supermarktkunden, allesamt gieren sie nach Schrottprodukten. Aber wehe, es ist einmal etwas gelungen, hat Qualität, schmeckt oder macht Spaß. Prompt wird die Melange in eine Nische gedrängt und vom Massengeschmack vernichtet. Deutscher geht’s nimmer.