wer sorgen hat, hat auch likör von RALF SOTSCHECK :
Kann eine Ehe nach 15 Jahren an einer Flasche italienischen Likör scheitern? Noch dazu an einer ungeöffneten? Robert hatte mir eine solche Flasche zum Geburtstag geschenkt. Seine Frau Joanna konnte zu der kleinen Feier nicht kommen, weil sie verreist war. Nach ihrer Rückkehr bedankte ich mich artig bei ihr für das Geschenk, das – wie ich annahm – von beiden stammte.
Joannas bohrende Fragen machten mich stutzig. Sie wollte genau wissen, um welche Flasche es sich handelte. Ich musste sowohl das Etikett beschreiben als auch die Pappschachtel, in der das Geschenk angeliefert worden war. Danach wurde Joanna still. Ich erkundigte mich später telefonisch bei Robert. „Du hast dich für den Likör bedankt“, stöhnte er. „Na, großartig. Joanna hätte nie bemerkt, dass die Flasche fehlt. Aber du mit deiner verdammten Höflichkeit musstest dich bedanken!“
Wer hätte gedacht, dass eine Flasche süßer italienischer Fusel eine Ehekrise heraufbeschwören kann? Joannas Schwester hatte ihr die Flasche voriges Jahr aus dem Italienurlaub mitgebracht. Robert wusste das nicht und war zunächst froh, dass er das Süßgetränk an mich losgeworden war. „Wieso bringt deine Schwägerin eigentlich eine Flasche klebrigen Sirup aus Italien mit“, fragte ich, „wenn es in dem Land an jeder Ecke leckeren Grappa gibt?“ Weil sie das Zeug selbst gerne trinke und offenbar erwarte, dass man es ihr bei ihrem nächsten Besuch anbiete, meinte Robert.
Ob er die Flasche eventuell zurückhaben möchte, bot ich Robert an, da ich ohnehin keinen Likör trinke. Er nahm dankbar an. Ein paar Tage später gab ich ihm die Zuckerbombe zurück, dazu eine Karte, auf der ich mich für die Leihgabe bedankte. Sie habe bei diversen Besuchern gebührenden Eindruck gemacht, schrieb ich.
Damit hätte der Fall erledigt sein können, doch Robert ritt der Teufel. Er stellte die Flasche heimlich in den Schrank zurück und wollte sie triumphierend präsentieren, wenn seine Schwägerin zu Besuch käme. Aber er hatte die Rechnung ohne Joanna gemacht. Sie entdeckte die Flasche, war aber keineswegs zufrieden, sondern schnauzte Robert an: Das sei ja wohl ein schwacher Ersatz für ihre schöne Flasche Likör, die er verschenkt habe.
Nun war Robert eingeschnappt und verschwieg, dass es sich um dieselbe Flasche handelte. Aber er schilderte allen Freunden und Bekannten das Drama um die vorübergehend verschwundene und dann verkannte Flasche, die über Nacht zum berühmtesten Getränk Nord-Dublins avancierte.
Das sollte sich rächen. Kurz darauf hatte Robert Geburtstag. Jeder der geladenen Gäste brachte zur Party ein Geschenk mit: italienischen Likör. Außerdem hatte jeder Gast auf der Geburtstagskarte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Flasche lediglich um eine Leihgabe handelte. Robert versuchte, die Karten verschwinden zu lassen, doch beim Anblick der zwei Dutzend Likörflaschen wurde Joanna klar, dass Robert sie zum Gespött der halben Stadt gemacht hatte.
Er hat nun vorübergehend bei uns Asyl gefunden. Joanna hatte ihm die Original-Likörflasche noch in seine Reisetasche gepackt, bevor sie ihn hinauswarf. Aber sie hatte zuvor den Korken entfernt.