weinprobe : Dunkle Kirschen und eine frische Brise vom Meer
GRAUSCHIEFER
Ein schöner Frühlingsabend und langer Arbeitstag. Es ist spät geworden. Ein Glas Weißwein wäre jetzt wunderbar zum Entspannen. Aber welcher? Ein Chardonnay-Monster wäre zu schwer, der hohe Alkoholgehalt würde nur einschläfern. Aber im Kühlschrank ist noch eine Flasche Riesling. Ich entkorke die schlanke Flasche, fülle das Glas und atme herben, mineralischen Duft. Das Meer, denke ich, der Wein duftet wundervoll nach Meer. Bevor ich das Glas an die Lippen führe, halte ich es sekundenlang an die Schläfen. Herrlich kühl, denke ich und nehme einen ordentlichen Schluck. Nein, es ist kein Seewasser. Es ist wie der Biss in einen grünen Apfel. Es kracht – nicht nur im Mund: Der ganze Körper bekommt einen Energieschub. Frisch, aber nicht sauer. Füllig, aber nicht schwer. Belebend und aprikosig. Duftig und voll Finesse. Ein Nervenkitzel.
Andreas Schmitges hat den Riesling gemacht. 38 Jahre jung ist er und gehört zu einer neuen Generation radikaler Moselwinzer. Sie misstrauen technischen Tricks und chemischen Mittelchen, vertrauen auf die Natur. „Grauschiefer“ heißt der grandiose Riesling. Der Wein kommt von der Mosel. Im Devon, vor 400 Millionen Jahren, war dort ein gewaltiges Urmeer. Grauer Schiefer ist der versteinerte Meeresboden des Devonmeeres. Seine Spuren klingen in der Mineralität des Rieslings nach. Sind im Glas sinnlich erlebbar. Das erklärt die Meeresbrise. Der „Grauschiefer“ passt super zu gebratenem Fisch und Meeresgetier, zu Gemüse und leichten Salaten.
2002 „Grauschiefer“ Riesling trocken, Weingut Andreas Schmitges, Erden, Mittelmosel, 6,20 € bei „Nix wie Wein“, 10437 Berlin (Prenzlauer Berg), Kopenhagener Straße 6, Tel. (0 30) 44 00 82 20
CORTELLO
Im Dünensand an der Atlantikküste, unweit von Lissabon beginnen die Reben der Extremadura. Es ist derzeit die bedeutendste Weinbauregion Portugals. Hier weht ein frischer Wind, junge Winzer sind am Werk. Eigentlich werden hier Weißweine angebaut. Eigentlich, aber das Weingut Dão Sul ist bekannt für Risikobereitschaft und Entschlossenheit. Für den Cortello wurden zwei uralte potugiesische Rotweinsorten in den Seesand gepflanzt. Ein glückliches Experiment. Denn dieser Rote duftet und schmeckt herrlich nach dunklen Kirschen und pfeffriger Frische. Erfreut mit dichter Textur und Saftigkeit. Ein schwarzroter Wein mit schöner Fruchtigkeit. Nachhaltig, aber trotzdem leichtfüssig und frisch. Viel Wein fürs Geld. Passt zu Gegrilltem, zu Couscous, Pasta oder Ratatouille.
2001 „Cortello“, Vinho tinto, Extremadura, Portugal, 4 € bei „Nix wie Wein“ (s. o.).
TILL DAVID EHRLICH
Der Autor ist Journalist, und degustationserfahrener Weinexperte sowie -kritiker.