warum aus mir kein topmanager werden konnte von HARTMUT EL KURDI :
Zurzeit verbringe ich aus beruflichen Gründen fast jeden Freitagnachmittag in der Bahn. Außer mir sitzen in Freitagnachmittagszügen nur Horden von betrunkenen Soldaten. Im Norden gern auch mal Matrosen. Während die blau uniformierten Seekrieger mit ihren weißen Mützchen wenigstens zur homosexuellen Fantasie-Stimulierung benutzt werden können – ihre Existenz also zumindest für einen Teil der Bevölkerung einen Sinn hat –, fragt man sich bei den pickligen, Bierdosen knackenden Heerestruppen, die neben einem vor sich hin dumpfen: Was soll das? Warum geht heute eigentlich noch jemand zur Bundeswehr, wo man doch inzwischen quasi per Kopfschütteln verweigern kann?
Zu meinen Zeiten war das noch anders. Da musste man vor einem Tribunal erscheinen und sich hirnlose, unlogische Sado-Maso-Fragen wie die folgende stellen lassen: „Wenn Sie nachts mit Ihrer Freundin durch einen Park gehen und von einer Horde Russen überfallen werden, die Ihre Freundin erst vergewaltigen und dann umbringen wollen und Sie zufällig eine Maschinenpistole dabeihaben – was machen Sie dann?“ Auf keinen Fall durfte man die einzig schlüssige Antwort geben: „Dann nehme ich die MP und blase den Arschlöchern die Grütze aus dem Schädel.“ Vielmehr musste man sich als feiges Weichei outen und sagen: „Nichts. Mein Gewissen verbietet es mir, eine Waffe in die Hand zu nehmen!“
Die Verhandlung diente also nur dazu, den Verweigerer zu demütigen. Oft fiel man aber trotzdem durch, egal wie viele Freundinnen und Verwandte man dem Iwan ohne Gegenwehr zu sexuellen und/oder kannibalistischen Zwecken überließ. Dann verlautbarte der Vorsitzende, man habe nicht ehrlich geantwortet, man sei ein Drückeberger und kein echter Gewissenspazifist. Pech gehabt. Ab in die Kaserne.
Mir blieb diese ganze Prozedur glücklicherweise erspart, weil ich schon frühzeitig ein körperliches Wrack war. Da ich mich allerdings nicht auf meine Gebrechlichkeit verlassen wollte, hatte ich sicherheitshalber vor der Musterung bereits formal verweigert. Als jedoch die Ärzte im Kreiswehrersatzamt kopfschüttelnd einen Halbkreis um mich herum bildeten und mitleidig abwechselnd meinen Rücken und meine Röntgenbilder betrachteten, wusste ich, dass es in meinem Fall nie zur Gewissensprüfung kommen würde.
Dreißig Minuten später wurde ich zur Verkündung des Ergebnisses gerufen. Ich betrat den Raum und stand Schwarzrotgold und einem Foto des ehemaligen SA-Mannes Karl Carstens gegenüber. Unter dem Bild saß ein fieses Männlein hinter einem großen Schreibtisch und sagte, man habe mich als untauglich eingestuft. Ich nickte. Er fragte: „Und, wollen Sie Ihre Verweigerung jetzt zurückziehen?“ Ich stutzte: „Warum sollte ich das?“ – „Weil sie damit vielleicht mal Probleme bekommen.“ – „Wo zum Beispiel?“ – „Wenn Sie einen Führungsposten in der Industrie wollen, sieht das nicht gut aus. Wenn Sie da gefragt werden, wo Sie gedient haben, was machen Sie denn dann?“
Gern hätte ich geantwortet: „Dann nehme ich die MP und blase den Arschlöchern die Grütze aus dem Schädel.“ Aber ich lächelte müde und ging als freier Mann nach Hause.