wahlen und weißbier : Wie verkraftet das Bayern?
Man weiß eigentlich nicht genau, wie man sich am Tage danach fühlen soll. So wie damals, Anfang der 1990er-Jahre, als wir am Campingplatz in Südfrankreich im Radio vom Verbot der KPdSU gehört hatten? Es gibt ja Gegenden in Bayern, die sind so schön, dass sich dort Wörter wie „SPD“ oder „Linke“ irgendwie unwirklich anhören, wenn man sie ausspricht.
Da stehen ein paar Kühe auf der grünen Wiese, dahinter sind die Berge und darüber der blaue Himmel und weiße Wolken. Und doch haben zum Beispiel im Wahlkreis Miesbach, also da wo es so schön ist und die Lederhosen herkommen, 2,7 Prozent die Linke gewählt. Die Grünen sind mit 12,6 Prozent eh schon fast eine etablierte Partei. Wie fühlt man sich also am Tag danach? Dabei gilt es zu bedenken: Um als Wähler keine CSU-Mehrheit erlebt zu haben, muss man in Bayern immerhin älter als 64 Jahre sein. Alle Jüngeren sind aufgewachsen unter der Herrschaft der großen Partei und ihrer großen Vorsitzenden, wobei der größte aller Vorsitzende, F.J.S., für alles, was in Bayern in den 1970er- und 1980er-Jahren politisch sozialisiert wurde, der ergiebigste aller politischen Feinde war.
Was haben die Musiker von dissidenten Blaskapellen wie den „Biermösl Blosn“ gegen ihn und die CSU angeblasen, was haben Kabarettisten und Intellektuelle ihre Klinge gewetzt, was haben wackere Atomkraftgegner in Wackersdorf für Schlachten geschlagen. Und wie intensiv war der Geschmack der bitteren Niederlage, wenn bei jeder Bundestag, Landtags- oder Kommunalwahl der Zeiger deutlich über die 50-Prozent-Marke für die CSU ausschlug, diese kraftstrotzend vor die Kameras des Bayerischen Rundfunks hintrat und ihr „Mia san mia!“ in die Welt sandte. Da blieben oft nur der tiefe, fatalistische Schluck eines dunklen Weißbiers und das Gefühl der inneren Emigration. Jetzt, seit Sonntagabend 18 Uhr, ist dies nicht nur gefühlte, sondern tatsächliche Vergangenheit. Und jetzt ist alles anders.
Das Gefühl freilich hinkt noch ein bisschen nach. Wie so oft bei historischen Ereignissen füllen die Verwunderung und das Erstaunen – „Unglaublich! Es ist wahr geworden! Demokratie auch in Bayern!“ – das Bewusstsein aus und stellen sich gleichberechtigt neben ein tiefes, helles Gefühl der Erleichterung.
Es ist, als wären Kühe, Wiesn, Berge und der blaue Himmel noch schöner. Und: Sie sind auch gar nicht verschwunden, seit die CSU keine absolute Mehrheit mehr hat! Freilich, der Bayer an sich kennt seine Pappenheimer und traut der neuen Freiheit noch nicht so ganz. Es waren ja weniger die Biermösl Blosn und Wackersdorf als das Rauchverbot und die von der CSU angefressenen Freien Wähler, die das Regime fürs Erste gestürzt haben. Ob’s auf Dauer ist, es wird sich zeigen. RUDOLF STUMBERGER