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Archiv-Artikel

vorlauf Wo der liebe Gott den Schlitz gemacht hat

„Das Wort zum Sonntag“

(Sa., 22.35 Uhr, ARD)

Die älteste Fünf-Minuten-Terrine für deine Seele im deutschen Fernsehen. Wieder mal mit oder ohne Tuch vom letzten Kirchentag vorgetragen. „Fürchte dich nicht!“ Es ist wohl wieder einmal mehr als harmlos. Zu harmlos für eine Welt, die aus den Fugen geht! Verantwortet diesmal von der katholischen Kirche.

Es geht daher nicht um den neusten Skandal aus Rom, der alles Weibliche einmal mehr von den heiligen Männern fern halten will. Es geht nicht um das Ärgernis, dass das Weib wieder schweigen soll in der Gemeinde. Sie soll lieber vor der Kirche in den Gassen der Stadt nach geeignetem Priesternachwuchs suchen. Mit Verlaub, Herr Kardinal, Sie sind von gestern! Keine mutige Rede davon, dass die katholische Kirche tausende potente Männer davon abhält, für eigenen Priesternachwuchs zu sorgen. Seit 500 Jahren halten wir Protestanten so was für eine der großen Fehlentwicklungen des Christentums. Um nicht Sünde zu schreiben, wie Luther es ausdrückte.

Stattdessen geht es einmal mehr um die ganz großen Fragen der Welt. Um Gerechtigkeit. Alles im kirchlichen Jargon intoniert, mit Nähkästchenmusik umrahmt. Keine Trompeten von Jericho und keine vom letzten Gericht. Man muss keine Sorge haben, dass diese fünf Minuten jemanden stören. Es geht um fairen Kaffee, fairen Handel, faire Welt! Und dann nimmt der Sprecher vielleicht selber eine kleine Kaffeebohne in die Hand und zeigt, wo der liebe Gott den Schlitz gemacht hat: in der Mitte der Bohne! Welch ein Symbol, welch ein Zeichen! Fairer Kaffee aus Bremen.

So kann es heute wieder kommen. Wenn es denn so kommt, wie es zu oft kommt, bevor es einem kommt.

Und ich sitze wieder und rutsche im Sessel tiefer und schäme mich. Schließlich bin ich einer von den Lohnpredigern des Herrn.

Aber vielleicht hat auch dieses Wort zum Sonntag nur den einen einzigen himmlischen Grund, nämlich etwas einzuüben, was die Welt wirklich rettet. Und das ist nicht Gerechtigkeit und Fairness, sondern Geduld. JÜRGEN FLIEGE