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Archiv-Artikel

vor ort GESA SCHÖLGENS über aufgeregte Protestanten in Bielefeld

Zwei Gotteshäuser sind in Zeiten knapper Kassen für eine Gemeinde zu viel. Das musste auch die ehemalige Paul-Gerhardt-Gemeinde in Bielefeld erfahren. Ihre heißgeliebte evangelische Kirche samt Gemeinderäumen soll verkauft werden – an die Jüdische Kultusgemeinde. Denn die kommt mit den eigenen Räumen nicht mehr aus, so die Vorsitzende Irith Michelsohn.

Die Evangelische Kirche Westfalen unterstützt den Verkauf: „Die Umwidmung ist fast das Beste, was der Kirche passieren kann“, so Sprecher Andreas Duderstedt. Es gebe keine Bedenken, sie in eine Synagoge umzuwandeln. Hermann Geller, Ex-Kirchmeister der Paul-Gerhardt-Gemeinde, sieht das anders: „Alle sprechen von einer ‚historischen Angelegenheit‘. Argumentiert man gegen den Verkauf, gilt man gleich als Antisemit.“ Kritiker gibt es auch auf jüdischer Seite, jedoch nur anonyme.

Alles begann vor einem Jahr, als sich die Paul-Gerhardter aus Geldmangel mit der Nachbargemeinde zur „vereinigten Neustädter Mariengemeinde“ zusammenschlossen. Damals hieß es, beide Kirchen blieben erhalten. „Nur deswegen haben wir zugestimmt“, sagt Geller zornig. Zwei Monate später hieß es plötzlich: „Eure Kirche wird verkauft.“ Von einem Vertragsbruch sei aber keine Rede, so die Evangelische Kirche. „Im Protokoll stand: die Kirchen bleiben so lange wie möglich erhalten bleiben“, versichert Duderstedt.

Angeblich waren die Kassen ebenso leer wie die Kirchenbänke. Das will Geller so nicht stehen lassen. „Mit dem Sparhaushalt wurde rumgetrickst“, schimpft er. „In Wirklichkeit waren wir im Plus!“ Zwar zählt seine Gemeinde nur noch 1.565 Schäfchen. „Aber 50 bis 60 Menschen besuchen regelmäßig den Gottesdienst, damit stehen wir besser da als die anderen“, sagt Geller. „Die Kirche ist nicht ausgelastet“, bedauert hingegen Alfred Menzel, Pfarrer der Fusionsgemeinde. Auch baulich ziehe das in den 60ern errichtete Gotteshaus im Vergleich zur größeren historischen Marienkirche den kürzeren.

Doch für ihre Mitglieder ist die Kirche mehr als ein Funktionsbau. „Sie sind dort konfirmiert oder getraut worden, manche haben regelmäßig Spenden für ihre Kirche gesammelt“, sagt Astrid Weyermüller vom Kirchenkreis Bielefeld. „Das ist natürlich sehr schmerzlich“, sagt Menzel, der zwischen den Fronten vermittelt. Der „Rückbau“ sei aber ein normaler Prozess. „Die Paul-Gerhardt-Gemeinde hätte sich vielleicht mehr behaupten müssen.“

Zudem hat die Mehrheit der Presbyter beider Gemeinden für den Verkauf gestimmt. Aus Protest traten darauf einige Mitglieder aus ihren Ämtern zurück, unter ihnen Geller. Er hat nun die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Evangelischen Kirche von Westfalen eingeschaltet – und stoppt so vielleicht die Verhandlungen zwischen Kirchenkreis, Leitung der Fusionsgemeinde und jüdischer Gemeinde.

Sollte doch verkauft werden, bleibt ein schwacher Trost: „Wenn es soweit ist, werden wir würdigen Abschied nehmen“, sagt Pfarrer Menzel. Die Kirchen-Ausstattung bleibe in der Gemeinde, „und das Kreuz wird zur Vordertür herausgetragen“.