piwik no script img

Archiv-Artikel

vor ort PASCAL BEUCKER über eine doch nicht völlig grundlose Malaktion im Regional-Express

Carsten K. ist „Prüf- und Sicherheitsfachkraft“. Seinen Job bei der Deutschen Bahn nimmt er ernst, sehr ernst. Auch wenn er nicht im Dienst ist, im Einsatz ist der 34-Jährige immer. Denn alles muss schließlich seine Ordnung haben. Und er sorgt für Ordnung. So wie an jenem frühen Nachmittag Anfang Februar dieses Jahres im Regional-Express zwischen Düsseldorf und Köln.

Auf dem Weg zu seinem Arbeitsantritt hatte sich Carsten K. gerade auf einem Platz in der 1. Klasse niedergelassen und die Bild-Zeitung aufgeschlagen, da vernahm er dieses „quietschende Geräusch“. Der bullige Mann mit dem Millimeterkurzhaarschnitt und dem feschen Schnauzer schaltete blitzschnell. Umgehend lokalisierte er die Störquelle. Noch in flagranti stellte er die Übeltäterin. Im Schneidersitz habe die Person ihr schändliches Werk verrichtet und mit einem Edding-Farbstift eine Gepäckablage beschmiert, wird Carsten K. später berichten. Natürlich habe er kein Pardon gekannt. Auch die „blöden Sprüche“ der uneinsichtigen Täterin hätten ihn nicht davon abbringen können, routiniert das volle Programm abzuspulen – von der Personalienfeststellung bis zur Übergabe der Gesetzesbrecherin an die Bundespolizei im Kölner Hauptbahnhof.

Am Mittwoch trafen Carsten K. und Johanna U. wieder aufeinander. Im Sitzungssaal 213 des Kölner Amtsgerichts. Er als Zeuge, sie als Angeklagte. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen die 21-Jährige: Sachbeschädigung. Sie habe die betreffende Ablage „völlig grundlos“ beschmiert und damit „unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert“.

Johanna U. bestreitet die ihr angelastete Tat nicht. Aber „völlig grundlos“ will sie keineswegs gehandelt haben. Den Grund habe sie auch seinerzeit bereits dem Bahnbediensteten mitgeteilt, berichtet die junge Frau, die Sozialpädagogik studieren möchte, aber bisher vergeblich auf einen Studienplatz wartet. Auf der Gepäckablage hätten Sprüche gestanden wie „Juden raus“, „Türken raus“, „Nazis rein“, „SA“, „SS“ und „Sieg Heil“. Die hätte sie mit ihrem Edding unkenntlich machen wollen. „Denn ich fand diese Sprüche sehr beleidigend.“ Aber Carsten K. habe ihr nur „mehrmals gesagt, dass ihn das nicht interessiert“, sagt sie mit leiser Stimme im Gerichtssaal. Ist das nur die Schutzbehauptung einer Schmiererin? In seinem Bericht über den Vorfall hatte Carsten K. jedenfalls nichts von solchen Sprüchen erwähnt.

Nun sitzt er im Zeugenstand. Und bestätigt die Schilderung der Angeklagten: „Da stand schon was vorher drauf, irgendwelche Nazi-Parolen“, sagt er aus. Warum er das nicht schon früher angegeben hat? „Ich fand das nicht relevant.“ Die Beschuldigte habe „etwas durchgestrichen und etwas hingeschrieben“. Damit habe es sich für ihn eindeutig um Vandalismus gehandelt. Mehr sei für ihn nicht von Interesse gewesen. Aber hätte die Bahn nicht vielleicht anders reagiert und von einer Anzeige abgesehen, wenn er auch über die übermalte Hetze berichtet hätte? „Das mag sein.“ Verteidiger Reinhard Schön insistiert: Hätten ihn denn die Nazi-Sprüche nicht auch gestört? Carsten K.: „Mich persönlich hat das nicht gestört, weil mich das nicht angreift.“

Richterin Birgit Niepmann hat genug gehört. Die „Prüf- und Sicherheitsfachkraft“ darf gehen. „Was Sie gemacht haben, war ziviler Ungehorsam“, richtet Niepmann das Wort an Johanna U.. Dieser sei zwar durchaus „löblich“, aber gleichwohl so nicht zulässig: „Es ist nicht die Aufgabe des Einzelnen, das durchzustreichen.“ Trotzdem, so die Richterin, habe sie „größte Bedenken“, in diesem Fall von einer strafbaren Handlung auszugehen. Immerhin sei durch die Übermalaktion „die Beschädigung eigentlich verbessert“ worden. Das Gericht schlägt die Einstellung des Verfahrens vor. Staatsanwaltschaft und Verteidigung stimmen zu. Die Kosten trägt die Staatskasse.