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Archiv-Artikel

vor ort LUTZ DEBUS über eine kuriose Rechnung um den richtigen NS-Opferproporz in Erkrath

Am Sonntagnachmittag werden Schülerinnen und Schüler des „Gymnasiums am Neandertal“ in den Straßen der Kleinstadt Erkrath Vorträge halten. Dabei wird es nicht um die Steinzeit gehen, sondern um die jüngere deutsche Geschichte. Die Jugendlichen werden im Rahmen der Verlegung von vier Stolpersteinen des Künstlers Gunter Demnig über das Leben und Sterben von Emil Schmidt, Otto Lukat, Bertha Mayer und einer unbekannten Zahl deportierter alter, behinderter Frauen referieren. Dass es überhaupt zu der Ehrung der von den Nazis Ermordeten kommen konnte, ist der Beharrlichkeit jener Jugendlichen und einiger Erkrather Bürger zu verdanken. Denn die Mehrheit von CDU und FDP im Rat der Stadt musste langwierig überzeugt werden.

„Die wollten keine Stolpersteine, erst recht nicht für Kommunisten“, fasst der Vorsitzende der örtlichen Grünen, Peter Knitsch, die jahrelange Diskussion zusammen. Tatsächlich waren Emil Schmidt und Otto Lukat in der KPD. Schon 1932 standen sie wegen des Mordes an einem SA-Mann vor Gericht, wurden aber freigesprochen. Nach der Machtergreifung der Nazis wurden sie in einem neuen Verfahren zum Tode verurteilt. Manches Erkrather Ratsmitglied, empört sich Knitsch, wollte einen von dem NS-Regime verurteilen Mörder nicht ehren. Auch schien es der Mehrheit im Rat zu einseitig, mit den Stolpersteinen „nur“ an Kommunisten zu erinnern.

Schon bei dem im Jahr 2000 von den Grünen gestellten Antrag, eine zentrale Gedenktafel für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft aufzustellen, überwogen im Stadtrat die Bedenkenträger. Zunächst, befanden sie, solle doch das Ausmaß der Verfolgung wissenschaftlich erforscht werden. Eine Studie der Universität Düsseldorf belegte einige Jahre später, dass in Alt-Erkrath drei Kommunisten, eine Jüdin und mehrere behinderte Frauen dem Nazismus zum Opfer gefallen waren. Und so sollten nach dem Willen der Ratsmehrheit bei der Verlegung der Stolpersteine alle Opfer geehrt werden.

Dies allerdings gestaltete sich schwierig. Der Künstler Gunter Demnig verlegt seine Steine normalerweise nur vor dem Haus, in dem das Opfer seinen letzten Wohnsitz hatte. Die Jüdin Bertha Mayer war allerdings, nachdem ihre Angehörigen geflohen waren, in das jüdische Altenheim nach Düsseldorf gezogen – und von dort aus deportiert worden. Auch sollten, so die Maßgabe des Künstlers, die Opfer namentlich bekannt sein. Doch trotz intensiver Forschung waren die Namen der ermordeten Behinderten nicht zu ermitteln. Zum Glück sei die Ehrung der Naziopfer – nach all den Auseinandersetzungen im Rat – jetzt nicht an den Bedingungen des Künstlers gescheitert, sagt der Grüne Knitsch.

Und dann gab es vor der Ehrung am Sonntag doch noch eine kleine Panne: Die Tochter des Neffen des dritten Ermordeten hatte der Stadt schon vor längerem mitgeteilt, dass sie gegen eine Verlegung eines Stolpersteins vor dem Haus ihres Vaters sei. „Man soll die Toten ruhen lassen“, habe sie Knitsch telefonisch mitgeteilt. Ihre Ablehnung wurde bei der Verwaltung offenbar schlicht vergessen.