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Archiv-Artikel

vor gericht Das Messer passte nicht zum Anzug

Wir alle sind auf die Sicherheit im öffentlichen Raum angewiesen. Darum löst Gewalt in diesem Bereich immer vielfältige Emotionen aus. So lautete der Tenor des Urteils über zwei türkischstämmige Berliner, die im März einen Busfahrer mit einem Messer verletzt hatten. Das Berliner Landgericht verurteilte am Dienstag Mehmet S. (25) wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Selcuk B. (23) muss deswegen für drei Jahre ins Gefängnis. Dennoch durften die beiden nach dem Urteilsspruch die Haftanstalt verlassen. Sie dürfen ihre Strafe im offenen Vollzug verbüßen.

Von den vielen, völlig verschiedenen Aussagen der Beteiligten, deren Erinnerung häufig von Angst, Panik und Erregung überlagert gewesen sei, hielt das Gericht folgende Version für stimmig: Die beiden jungen Erwachsenen seien am 1. März zu einer Hochzeitsfeier bei Verwandten von Selcuk B. gegangen. Der 23-Jährige hatte sich schick angezogen, dazu wollte ein mitgeführtes Messer nicht passen. So bat er seinen Freund Mehmet, der ihn zur Feier begleitete, das Messer für ihn aufzubewahren.

Doch die Feier hat die beiden offensichtlich nicht begeistert. Sie tranken jeder eine Flasche hochprozentigen Raki und machten sich kurz vor Mitternacht mit etwa 2 Promille Alkohol im Blut auf den Heimweg. Sie stiegen in den Bus der Linie M 29, setzten sich ins Oberdeck und fielen durch aggressive Pöbeleien auf. Als dann Selcuk B. noch mit seiner Freundin telefonierte und diese auf Türkisch wüst beschimpfte, bat ihn eine Türkin, dies zu unterlassen. Den heftigen Wortwechsel, der sich nun entwickelte, bekam auch der Busfahrer Serda C. mit. Die Auseinandersetzung wurde immer heftiger. Der klein gewachsene 34-jährige Serda C. beschloss einzugreifen. Höflich bat er die beiden, den Bus zu verlassen. Sie folgten ihm ins Unterdeck.

Doch statt auszusteigen, beschimpften sie nun den Fahrer, zerrten an ihm herum und drohten: „Wir stechen dich ab!“ – eine Wortwahl, die das Gericht wegen seines inflationären Gebrauchs nicht als angekündigten Totschlag, sondern als Imponiergehabe wertete. Nun mischte sich eine weitere Frau ein und forderte die beiden auf, den Busfahrer in Ruhe zu lassen. Mehmet S. verdrehte ihr den Arm, schubste und schlug sie, zum Schluss trat er der Frau noch ins Gesicht.

Währenddessen fiel Selcuk B. bei einer Rangelei mit dem Fahrer aus dem Bus, auf dem Bürgersteig lag der Provokateur unten. Sein Freund Mehmet S. klappte das Messer auf und stach dem Busfahrer in den Rücken. Dort blieb es in einem Wirbelknochen stecken. Dann flohen beide und stellten sich erst unter dem Druck der Fahndung bei der Polizei. Obwohl nur Mehmet S. mit dem Messer stach, „muss sich auch Selcuk B. den Stich mit dem Messer zurechnen lassen, denn beide haben die Eskalation zu gleichen Teilen vorangetrieben“, sagt die Richterin.

Der Busfahrer erlitt durch den Stich zwar keine lebensgefährliche Verletzung, ist aber noch immer stark traumatisiert: Der Anblick von Bussen versetzt ihn in Angst, arbeiten kann er bis heute nicht. Als Zeuge vor Gericht brach er mehrfach in Tränen aus. Die Entschuldigungen der Angeklagten wollte er nicht annehmen, mit dem angebotenen Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 Euro erklärte er sich nicht einverstanden. UTA EISENHARDT