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Archiv-Artikel

von einer, die auszog, das pure gruseln zu lernen von CORINNA STEGEMANN

„Ihr seid ja völlig geisteskrank“, war die erste Reaktion nach sekundenlangem, entsetztem Schweigen am Tisch. Dann prasselten die Fragen nur so auf uns ein: „Warum tut ihr so was!? Wer hasst euch so sehr, dass er euch zu so was zwingt?“ Fassungslose Blicke voller Mitleid und Unverständnis, aber auch getränkt von Ekel und Verachtung zerfraßen uns beinahe. Wolfgang und ich hatten gerade beim Abendessen unseren Freunden eröffnet, dass wir am nächsten Abend zu einem Pur-Konzert gehen würden.

„Niemand zwingt uns“, sagte ich mit einer Spur von Trotz, denn ich fühlte mich in die Defensive gedrängt und hatte das Bedürfnis, mich zu verteidigen, „Wir gehen da freiwillig hin, weil wir nichts bezahlen müssen und weil ich die nicht kenne und weil ich mir ein eigenes Bild machen will.“ Tatsächlich war es so, dass ein paar Tage zuvor eine Einladung zum Konzert ins Haus geflattert kam, der Kollege mich fragte: „Willst du dahin?“, und ich antwortete: „Warum nicht?“

Ich kannte diese Musikanten tatsächlich nur aus Erzählungen von Bekannten. Demnach stand mir das allerentsetzlichste Erlebnis meines Lebens bevor, ich würde meine Grenzen ausloten können, meine Leidensfähigkeit kennenlernen, ich würde in unvorstellbare Abgründe blicken – das klang doch sehr spannend, und ich gebe zu, dass mich eine gewisse Neugier plagte, und ich hoffte, mich mal wieder so richtig gruseln zu können. Wolfgang hingegen war bereit, mich zu begleiten, weil er, wie er sagte, eine gewisse Freude am Ekel verspüre. Wolfgang aber surft auch gern auf widerlichen Seiten wie www.rotten.com, selbst wenn er sich beim Anblick mancher Bilder dort schon übergeben hat.

Zum Konzert tags darauf lässt sich nicht viel sagen. Ich gruselte mich nicht ein einziges Mal, auch Ekel wollte sich nicht einstellen, nur grenzenlose Ödnis und Langeweile. Auch Hartmut Englers sagenumwobene Hässlichkeit hatte ich mir schlimmer und viel erschreckender vorgestellt. Ich sah nur ein dürres Männchen mit zu großer Nase, das über ein Volk von dicken Hausfrauen und Sonnenstudio-Besitzerinnen regierte. Einmal immerhin musste ich laut lachen. Hartmut Engler erzählte dem Publikum, dass Pur sich jetzt für SOS-Kinderdörfer engagiere: „Wir sind neulich mal über eins drübergeflogen.“ Verstand ich. Leider hatte er gesagt: „Wir sind da neulich mal rübergeflogen.“ Als Wolfgang das Missverständnis aufklärte, verstand ich erst, warum mich die Engler-Fans alle so merkwürdig angestarrt hatten.

Als das Konzert vorbei war, musste ich noch ein Foto von Wolfgang und Hartmut Engler machen, für Wolfgangs „Fotos-mit-komischen-Leuten“-Sammlung. Er hat schon Fotos von sich mit Stefan Mross, Stefanie Hertel, Sachsenpaule, André Rieu und Friedbert Pflüger.

Anschließend gingen wir auf eine Party, auf der wir mit den anderen Gästen das Spiel „Wir waren gerade bei der doofsten Band der Welt, ratet mal bei welcher“ spielten. „Bon Jovi!“, rief Larry. „Nein, eine deutsche Band.“ – „Pur!“, riefen sieben Leute wie aus einem Munde. „Was? Ihr wart bei Pur!?“, rief Marieke kreidebleich und betrachtete uns mit einem fassungslosen Blick voller Mitleid und Unverständnis, aber auch getränkt von Ekel und Verachtung.