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von Hermann G. Abmayr Die grüne Macht am Neckar

Ich nehme Rücksicht, sonst verliere ich die Macht“, erklärt Winfried Kretschmann im Interview mit dem Monatsmagazin Cicero den Unterschied zwischen dem Politiker und einer Denkerin wie Hannah Arendt. Doch gleich zwei Mal hat der bekennende Heimwerker und Fan von Schlagbohrmaschinen in den letzten Tagen die rote (oder grüne) Linie der Rücksichtnahme überschritten. Zuerst mit dem Besuch des tief schwarzen Tunnelbohrmaschinen-Herstellers Martin Herrenknecht, der auch für Stuttgart 21 einen Großauftrag hat. Da wurde vor den Kameras das Spiel „ziemlich beste Bohr-Freunde“ gegeben. Und dies kurz nachdem sich Verkehrsminister Ramsauer am selben Ort feiern ließ, da der Bahn-Aufsichtsrat die Kostenexplosion bei S 21 abgesegnet hatte.

Und dann fiel Kretschmann den Parteifreunden in Berlin in den Rücken. Während Renate Künast und Cem Özdemir mit dem milliardenschweren Tunnelbahnhof Stimmen gewinnen wollen, erklärte der schwäbische Obergrüne gegenüber der Stuttgarter Zeitung: „Stuttgart 21 mach ich nicht mehr zum Wahlkampfthema.“ Die Kritik aus den eigenen Reihen reichte von anmaßend über diktatorisch bis parteischädigend. Denn schließlich will Özdemir in einem der Stuttgarter Wahlkreise das erste grüne Direktmandat außerhalb Berlins gewinnen.

Kretschmann als Leidensmann

Das Staatsministerium rechtfertigt Kretschmanns Politik parteiintern damit, dass die SPD die grün-rote Koalition platzen lasse, wenn man sich zu Stuttgart 21 nicht weiter so unterwürfig verhalte wie seither. Das glaubt aber kaum jemand an der Parteibasis. Denn gut ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl könne sich die abgewirtschaftete Südwest-SPD einen Koalitionsbruch nie und nimmer leisten. Das würde schon die Bundespartei verhindern. Und wenn sich die beiden Verliererparteien in Baden-Württemberg zusammentäten, die CDU und die SPD, dann würden die Grünen ihr Landtagswahlergebnis aus dem Jahr 2011 beim nächsten mal 2016 erst recht toppen.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen den Machtmenschen Winfried Kretschmann und Angela Merkel: Der Grüne leidet und „kommuniziert“ dieses Leiden so gut, dass es glaubhaft wirkt. „Ich habe schon manchmal Angst“, bekannte er im Cicero-Interview, „dass gestanzte Phrasen aus dem Kretschmann kommen. Das Amt biegt einen da.“ Und wieder punktet er beim Wähler.

Beim Thema Stuttgart 21 kann der Landesvater – machtpolitisch gesehen – nur gewinnen. Kippt das Milliardenprojekt, kann er sagen, er habe davor gewarnt. Wird gebaut, dann nimmt der 1,93-Meter-Mann das schwere Kreuz der Volksabstimmung oder das des jüngsten Aufsichtsratsbeschlusses der Bahn AG auf sich und erklärt, wie in der vergangenen Woche im Landtag: „Stuttgart 21 wird gebaut.“ Nur am Kostendeckel für das Land wolle er festhalten. Das honorieren die meisten Bürger – zumindest wenn sie nicht in Stuttgart wohnen, wo der Protest nicht nachlässt. Und selbst wenn die Grünen ihre drei Direktmandate in der Landeshauptstadt 2016 verlören: Kretschmann weiß, dass er auf dem Land weit mehr hinzugewinnen kann.