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Archiv-Artikel

vom erzieherischen wirken nachdenklicher geschichten von EUGEN EGNER

Ich hatte meine Familie davon überzeugen wollen, dass ich in meinem Alter noch in der Lage war, mit auf den Rücken gebundenem rechtem Arm eine hoch künstlerisch geschnitzte Kuckucksuhr zu bauen. Seither lehne ich meist, auf ein im Gesicht angesetztes Brett gestützt, im Garten und erzähle wahllos, was die ruinierte Großhirnrinde hergibt, bis man mich ins Haus holt.

Eines Vormittags lehnte ich wieder vornübergekippt am Brett. Mein schon 30-jähriger Sohn (er schreibt seit acht Jahren an einer Magisterarbeit über mich) verließ das Haus durch eine Luke auf der Rückseite, um ein wenig im Garten zu spielen. Die frische Luft tut ihm immer gut; ich sehe es gern, wenn er sich im Freien aufhält, solange er nicht mit dem Motorrad durch die Blumenbeete fährt. Er hatte wieder sein Lieblingsspielzeug bei sich, einen dieser unverwüstlichen sprechenden Gummiköpfe aus Japan, wie sie seit einiger Zeit alle hatten.

Ich fand, der Bub beschäftigte sich zu viel mit dem Ding, und wollte ihm zu seiner Belehrung eine nachdenklich stimmende Geschichte aus dem Familienleben erzählen. Sollte er für den Rest seines Lebens lieber versuchen herauszufinden, was um Gottes willen ich ihm damit sagen wollte, als dauernd mit dem leidigen Scherzartikel herumzuhampeln. Also begann ich: „Jedes Mal, wenn Vater ein Hemd anhatte, kam die Tochter und zerriss es.“ Mein Sohn schien unaufmerksam, sein Interesse galt einzig dem Gummikopf in seiner zum Wurf erhobenen Rechten. „Richtig feste!“, rief der Kopf ihm mit täuschend echter Stimme zu, worauf mein Sohn lässig erwiderte: „Kannst du haben.“ Daher unterbrach ich mich und fragte: „Interessiert dich wohl nicht, was ich dir erzähle?“ – „Doch, doch“, antwortete er pflichtschuldigst. „Sprich nur weiter, ich hör zu.“ Gleichzeitig warf er den japanischen Gummikopf mit aller Kraft an die Hausmauer. In das dabei entstehende Knallgeräusch mischte sich ein fröhliches „Heißa!“ aus dem Gummimund des wunschgemäß Behandelten, der, von der Mauer abprallend, in hohem Bogen über uns hinwegflog.

Während sich sein Jauchzen in den Lüften entfernte, fuhr ich trotz der Unruhe fort: „Vater trug also keine Hemden mehr. Doch da zerriss die Tochter seine Hosen.“ Wieder machte ich eine Pause, um die Aufmerksamkeit meines Sohnes zu überprüfen, bevor ich zur Pointe ansetzte. Mit seinen Eichhörnchenohren und dem weit abstehenden Hosenbund, mit großen Augen und gespitzten Lippen stand der närrische Junge noch am selben Fleck. Obwohl er angestrengt lauschte, galt seine Konzentration weniger denn je meinen Worten. „Fang mich!“, tönte die Stimme des fliegenden Kopfes aus wachsender Entfernung. Sogleich warf sich mein Sohn herum und setzte ihm nach. Weil er sich aus familiären Rücksichten genötigt fühlte, mir den Eindruck zu vermitteln, meine Ausführungen seien ihm nicht vollkommen gleichgültig, rief er im Lauf heuchlerisch über die Schulter zu mir zurück: „Und dann?“

Ehe ich zum Weitererzählen ansetzen konnte, hatte er mein eingeschränktes Blickfeld verlassen. Aus großer Distanz hörte ich ihn dem fliegenden Kopf noch etwas nachschreien, die Worte waren aber schon längst nicht mehr zu verstehen.