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Archiv-Artikel

village voice Die Friedensbewegung ist wieder unterwegs in den Charts, und der Ostrock möchte mit: der Amiga-Sampler „Hey Mr. President, no bomb!“

Die Zeichen der Zeit erkannt

„Hey Mr. President, no bomb!“, gemahnt es vom Cover dieser CD, und „Krieg ist keine Lösung, Rock für den Frieden!“ Auch die weiße Taube und ein riesiges Friedenszeichen fehlen nicht. Wenn da nicht schon wieder jemand die Zeichen der Zeit erkannt hat! In letzter Zeit verging bekanntlich keine Award-Verleihung, bei der nicht verdiente Werktätige der Popindustrie genau das mehr oder weniger cool rüberzubringen versuchten: „War is not the answer“ stand auf Sheryl Crows T-Shirt bei den American Awards und „no war“ auf dem Handtäschchen von Anke Engelke beim Echo. Eigens erdachte Friedenslieder jedoch wurden nicht gesungen.

Auf dieser CD werden sie das, unter anderem von den Puhdys, Karat, City, Electra, Ute Freudenberg & Elefant und vom Oktoberklub. Alles Namen, bei denen zumindest jeder Ostler sofort Bescheid weiß: Hier ist die komplette Elite des seligen Ostrocks versammelt. Sie singen „Keiner will sterben“ (Karussell), „Ein Lied für die Menschen“ (Silly) oder „No Bomb“ wie die Gruppe Berluc. Diese landete mit ihrem Lied vor rund 20 Jahren einen großen Hit in der DDR, nicht zuletzt, weil sie ihre Botschaft an „Mister President“ geschickt im seinerzeit unüblichen Englisch rockten. Die meisten Songs auf dieser Compilation sind aus den Achtzigerjahren, als von deutschem Bühnenboden viele Friedenslieder ausgingen.

Der Nato-Doppelbeschluss hatte im Westen Künstler wie BAP, Udo Lindenberg, Wolf Maahn oder die Bots zum Protestsingen animiert, und in der DDR traten die etablierten Bands von 1982 bis 1987 bei „Rock für den Frieden“ auf. Obwohl das dreitägige Festival im Palast der Republik vom offiziellen Kulturapparat organisiert wurde, musste niemand dorthin geprügelt werden. Die Bands nicht und das Publikum nicht, allein aus Mangel an Alternativen und weil hier Westmusiker auftraten. Dabei sorgten BAP 1984 für einen Eklat, als sie ihr Konzert wegen eines Zensurversuchs absagten. 1987 war Schluss mit der Veranstaltung, die Ostbands wollten sich nicht mehr vor den politischen Karren spannen lassen. Und: Die Zeiten, da ein Friedenslied wie selbstverständlich zum guten Ton in der offiziellen Ostrock-Szene gehörte, waren einfach vorbei.

Nun aber scheint die Zeit für Friedenslieder wieder gekommen zu sein, George W. Bush sei Dank, und vielleicht ist sogar beim Publikum ein Bedarf da. Man kann es aber auch anders sagen: Der DDR-Rock ist längst tot, der Plattenindustrie geht’s schlecht, und nun ist noch der Frieden bedroht. Warum nicht mal im Backkatalog gucken und überlegen, wie man für alle zusammen etwas tun kann? Vielleicht fällt sogar ein zünftiges Revival bei ab. Denn nicht zuletzt durch den immens erfolgreichen Wolfgang-Becker-Film „Good Bye, Lenin!“ scheint sich so eines ganz ernsthaft (und zum x-ten Mal in den letzten dreizehn Jahren) anzukündigen. Die Angst aber, den Sprung auf den fahrenden Friedensbewegungszug zu verpassen, könnte auch der Grund für die teilweise großzügige Song-Auswahl sein. Ob Keimzeit ihr „Irrenhaus“ 1990 als Rock für den Frieden verstanden? Eine Zeile wie „Die Irren ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament“ jedoch passt immer und auf alles, vor allem aber: „Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt.“

Die Plattenindustrie hat diese Zeichen erkannt und ruft deshalb alle friedliebenden Musikfreunde auf: „Jeder einzelne sollte versuchen, ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen – sei es mit der Teilnahme an Demonstrationen oder mit Musik.“ Ab sofort im Handel: „Hey Mr. President, no bomb!“ Make money, not war! GUNNAR LEUE

Diverse: „Hey Mr. President, no bomb!“, Amiga/BMG Berlin Musik