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Archiv-Artikel

urplasma, mondboot und schnurrbart von WIGLAF DROSTE

Rote Bete mochte ich von Anfang an. Erstmals begegneten mir die Kameraden in Form der Sauerkonserve; purpurrot und nur murmelgroß schwammen sie im Glase, das ich mit einem entvakuumisierenden „Knack!“ öffnete und sie wegfutterte, eine nach der anderen. Den Saft trank ich auf ex hinterher und wischte mir mit dem Handrücken über den nassen roten Mund wie eine Gestalt aus Polanskis „Tanz der Vampire“.

In Scheiben geschnittene eingelegte Rote Bete gab es auch, aber die war vergleichsweise mau – das Glück ist kugelförmig, so ist die Welt beschaffen. Als die alte Nachbarin Frieda Husmann, die selbst Rote Bete zog, zum ersten Mal einen Korb voll gnubbeliger roter Wurzeln in den Garten meiner Eltern brachte, staunte ich: Kreisrund wie der Haarausfall von Lebensmitteldesignern waren die nicht, eher sehr divers auswüchsig, und die Größe variierte von etwa tischtennisball- bis leicht kinderkopfgroß.

Diese Burschen garte ich, was erstaunlich lange dauert, je nach Umfang zwischen 45 und 75 Minuten. Anschließend wurden sie, wie ich es in Indianerbüchern gelesen hatte, gehäutet und in Streifen geschnitten. Den unpraktischen Marterpfahl ließ ich weg, träufelte der Roten Bete Balsamikoessig und Olivenöl in die offenen Wunden und wälzte sie in Salz, buntem Pfeffer und feingehackten Knoblauchzehen und Schalotten, weil das schön zwiebelt.

Unter den warm dampfenden Salat hob ich ebenfalls frisch gekochte, gepellte und in Spalten zerteilte Kartoffeln der Sorte Bio Linda, deren leuchtend buttergelbe Farbe sich auf das Schönste mit dem Dunkelrot der Roten Bete verband. So wie die Kartoffeln sich errötend mit dem Saft der Roten Bete voll sogen, so hingebungsvoll wurde alles weggefuttert. Mir fiel eine Ermahnung aus Kindertagen wieder ein: „Du alter Gierschlund!“, hatte es da nicht selten geheißen. Gierschlund, o ja, sehr gern.

Das erste Pinkeln am Tag nach dem Rote-Bete-Exzess allerdings verwandelte die Freude in Angst und Schrecken: Alles klar, das war es jetzt, dachte ich – so rot strömte mir der Harn aus dem Dömmel. Es war aber nicht mein Blut, sondern nur das der Roten Bete. Noch in Pipi verwandelt färbt es sensationell.

Im Bücherregal meines besten Freundes nach Unbekanntem forschend, fand ich „PanAroma“ von Tom Robbins und las: „Die Rote Bete ist das melancholische Gemüse, jenes, das am bereitwilligsten leidet.“ Bitte?

Der Mann meinte es ernst: „Die Rote Bete ist der Mörder, der an den Tatort zurückkehrt. Die Rote Bete ist das, was da anfängt, wo die Kirsche mit der Karotte aufhört. Die Rote Bete ist der Urahn des Herbstmondes, bärtig, begraben, alles, nur nicht leblos; sie ist das dunkelgrüne Segel des gestrandeten Mondbootes, genäht mit Venen aus Ur-Plasma; sie ist die Drachenschnur, die einst den Mond mit der Erde verband und die jetzt nichts weiter ist als ein schlammverschmierter Schnurrbart, der verzweifelt nach Rubinen bohrt.“

Vielleicht mangelt es meinem Leben an Hippietum und Esoterik, aber köstliche Rote Bete derartig von der Seite anschnacken und voll labern würde ich nie. Rote Bete lieben heißt Rote Bete zubereiten und aufessen. Sie, die Rote Bete, dankt uns das mit Leckersein und Schweigen.