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Archiv-Artikel

urdrues wahre kolumne Wunderapostel on the road

Dieses Kurzhörspiel überraschte und beglückte mich auf dem Weg zur taz in der Obernstraße: „Kuckma, nix los in den Geschäften. Kein Geld mehr, die Leute. Das geht alles voll innen Arsch, bei Karstadt und Kaufhof tanz ich noch auffer Beerdigung.“ So sprach der männliche Part des mittelalterlichen Paares und SIE fand das passende Resümee in den Worten: „Naja, Hauptsache Gesundheit. Und immer genug Kartoffeln im Keller!“ ER: „Mit was dabei!“

Für die ewige Ehrenliste der schlechtesten Filme hatte mein Freund Malle aus Berlin den Streifen „Der Wunderapostel“ derart nachdrücklich empfohlen, dass ich mir die vermutlich letzte Vorführung dieses cineastischen Ereignis im Bremer Cinema als ersten Film des Neuen Jahres reinzog. Wie ist es zu erklären, dass diese krude Mischung aus Wachtturm-Video, Heimatschnulze und HeileheileGänslein-Esoterik der Grete Häusler-Produktion inmitten des Viertels knappe zwei Stunden über die Leinwand zucken konnte, ohne dass die Grundmauern des Lichtspielhauses vor Hohngelächter zerbarsten? Die Besucherin vor mir quittierte mein unterdrücktes Kichern mit den garantiert ironiefreien Worten: „Du solltest lieber auf die Knie fallen angesichts der inneren und äußeren Herrlichkeit, die Du hier schauen darfst. So schäme Dich denn!“ Ein Satz, der ohne einen Abstrich ins Drehbuch dieses Films übernommen werden könnte ...

Der In & Out-Liste des Veranstaltungsmagazins BIG dürfen wir zum Auftakt des Jahres 2003 entnehmen, dass Wein trinken und Pasta essen ebenso wie das Kleiderschrankausmisten und Verwirklichen von Träumen unbedingt IN sind, während fettige Haare, muffelige Hausmeister, überhöhte Telefonrechnungen und grüne Hosen als OUT zu gelten haben. BIG, ich danke Dir – womöglich hätte ich sonst auch heute wieder meine grüne Hose angezogen und statt Pasta und Vino Bratwurst und Bier genossen, womöglich noch gemeinsam mit muffeligen Hausmeistern und ohne die geringste Chance, meinen Traum von einer Welt ohne Getränkedosen und staatlicher Herrschaft je zu realisieren.

Alle hiesigen Gazetten berichten vom Flitzer in der Silvesternacht, die in der taz in fast konsequenter Durchgängigkeit mit dem noblen Ypsilon geadelt wird. Keiner aber verrät, dass es sich bei diesem Flitzer um den FDP-Bürgermeisterkandidaten Claus Jäger handeln soll. Dies jedenfalls behauptete ich hartnäckig im Gespräch mit einem noch halbwegs als nüchtern durchgehenden Gast im „Waller Buttjer“. Der nahm die nackten Tatsachen beiläufig zur Kenntnis, woraus die Liberalen immerhin die Hoffnung schöpfen können, dass sie auch dort noch wahrgenommen werden, wo sie vielleicht nie gewesen sind und nackidei wohl schon gar nicht.

Reisen, tanzen,trommeln, singen und sich selbst erfahren wollen eine „von der Foundation shamanic studies“ ausgebildete Heide Brandt und eine „13 Jahre sehr verbunden in und mit der Natur im eigenen Cottage in Irland lebende“ Heide Kirchhoff mit anderen Frauen am überübernächsten Wochenende im Haus Ohlenbusch bei Worpswede, und wenn dabei für jede Heide wenigstens ein richtig eigener Vorname bei rausspringt, wollen wir dem Großen Mumpitz in seiner Erhabenheit dafür ebenso dankbar sein wie der unbekannten Sparkommissarin, die den Handzettel für ihre Einkaufsnotizen genutzt und darauf neben „Joghurt, Honig, Räuchermakrele, Brot, Tee“ vermerkt hatte: „Wichtig! Unbedingt nach herabgesetzten Weinachtssüßigkeiten fragen. Marzipan!“ Gott schreibt halt auch auf krummen Zeilen grade, und selbst die Rückseite des feingewirkten Unfugs kann noch für vernünftige Gedankenarbeit um die wirklich wichtigen Dinge dieser Welt genutzt werden!

Heute bleibt die Bütt im Kabarett der Literarischen Gewalttätigkeiten ausnahmsweise leer, ebenso wie die Textmaske für meine Kolumne in der nächsten Woche: Das Abenteuer ruft in die Ferne, die irgendwo zwischen Pommern, Böhmen und der Puszta liegen mag. Danach aber ist vielleicht schon Karneval in Bagdad, der Winterschlussverkauf hat begonnen und vielleicht hast Du es bis dahin geschafft, Dich an die 3 im Neuen Jahr zu gewöhnen. Wünscht Dir jedenfalls wie sich selbst

Ulrich „Holiday“ Reineking