urdrues wahre kolumne: Terrorwarnung
Die letzten Tage des sterbenden Jahres, sie hatten auch jenseits von Hubschrauberabstürzen, Tannenbaumbränden und verschmorten Weihnachtsbraten ihre bemerkenswerten Höhepunkte – abseits der ganz großen Ereignisse.
Im nunmehr doppelstöckigen Regionalzug von Oldenburg nach Bremen beispielsweise wurden ganz ohne Festtagsgrüße von Herrn Mehlwurm Papiertüten mit bahn-offiziellen Muffins verschenkt, inclusive der Gebrauchsanweisung „Geben Sie an Bord eines unserer neuen Doppelstockwagen auf der Linie Hannover-Norddeich Ihren persönlichen Startschuss: Muffin aufessen, Tüte aufblasen – peng! Guten Appetit und allzeit gute Fahrt.“ Der durch die Wagen schlurfende Bahnbedienstete aber, er erklärte angesichts einer anweisungsgemäß handelnden Schar jugendlicher Knalltüten „Wenn das mit dem Quatsch nicht gleich aufhört, schmeiß ich euch alle raus!“ Ein Beleg mehr dafür, wie schwer es zielgruppenorientiertes Marketing angesichts gewachsener Personalstrukturen hat!
Auch sehr schön die Begegnung mit einem Handverkäufer(!) der anarchosyndikalistischen Zeitung „Direkte Aktion“, der mit dem zuversichtlich-gewinnenden Rauschgoldlächeln eines echten Himmelsboten “Ganz doll viel Spaß beim Lesen“ wünschte und mir doch schon mit seiner bloßen Existenz die frohe Botschaft überbrachte, dass die schwarze und die rote Front auch auf publizistischer Ebene immer noch existiert! (Apropos ... Probehefte gegen paar Euro Spende gegebenenfalls anfordern bei Direkte Aktion, Mühlgasse 13, 60486 Frankfurt/Main).
Verpasst aber habe ich leider angesichts gesundheitlicher Unpässlichkeiten in der letzten Woche nicht nur das Schreiben der wahren Kolumne und den Umtrunk zum 60-jährigen Geburtstag meines früheren Radio Bremen-Redakteurs Peter Dahl (Vivat!), sondern auch die wohl bemerkenswerteste Aktion dieses Jahres im CDU-Stadtverband Westen: den „festlichen und fröhlichen Gang über den Weihnachtsmarkt“, zu dem Vorsitzender Franz Roskosch Mitglieder und Schnuppermitglieder mit der verheißungsvollen Ankündigung einlud: „Dort wollen wir bei Glühwein und Schmalzkuchen unsere festliche Stimmung zum Höhepunkt bringen.“ Klingt irgendwie ... aufreizend, fast wie Rubbel-Lotto! Erotisch! Auto-Erotisch! Saugeil sozusagen. Und wir, wir waren bei der kollektiven Klimax-Orgie nicht dabei – schade eigentlich!
Der geifernde Eifer, mit dem die Bremer Unionschristen und namentlich ihr Innensenator Kuno Böse derzeit gegen Anhänger des Islam pöbeln, entspringt offenbar dem Versuch, wahlkämpferische Aufbaupräparate vom ideologischen Stuhlgang des hessischen Brandstifters Roland Koch zu naschen: Muss man die längst überfällige Klage wegen Volksverhetzung unbedingt den Betroffenen von Milli Görüs überlassen, oder findet sich endlich mal ein Staatsanwalt, der hier das öffentliche Interesse an einer konsequenten Strafverfolgung dieser durchgeknallten Kreuzritter erkennt, die für ihr bisschen Arbeitsplatz-Sicherheit offenbar jede Brandstiftung in Kauf nehmen?
„Dessous von Mika Camin am Wall als Geschenkidee für ratlose Männer“ empfiehlt der Kleinanzeigenteil des Weserkurier dieser Tage, und doch scheinen mir dadurch mehr Fragen zur geschlechtsspezifischen Orientierung aufgeworfen als beantwortet zu werden. Was macht man nun mit einer solchen Information?
Ähnliche Ratlosigkeit bewirkt die Nachricht, dass Sarah „Slipfrei“ Connor zur Ehrenbotschafterin von Delmenhorst ernannt wurde. Wo und wie aber wird die Popsängerin in dieser Eigenschaft tätig werden, und welchen Standpunkt vertritt die Delmestadt auf internationaler Ebene zum Krieg gegen den Irak, zur Kabeljaufrage, zum EU-Beitritt der Türkei und zur Förderung der Windkraft auf europäischer Ebene? Mindestens ist ja wohl zu erwarten, dass aus Delmendaddel nunmehr kräftig gegen die Fortsetzung des Raver-Unfugs mit der Vision Parade in Bremen mobilisiert wird!
Wer immer noch aus 2002 ein Hühnchen mit irgendjemand zu rupfen hat, dem sei empfohlen, diesem Widersacher ein paar Paletten der belgischen Biermarke „Hofburg“ für die Silvesternacht zu schenken, die derzeit in vielen Ramschläden für fast weniger als nix verramscht wird. Eine eklige Ursuppe, die jedem Becksbier-Trinker schon beim ersten angewiderten Schluck aus der fast schon becksbiergrünen Dose klar macht, wohin die Reise mit dem Interbrühe-Monopol gehen könnte. Uns jedenfalls wurde in einer an sich urgemütlichen Waller Runde durch eine solche Gabe vor den Festtagen kollektiv dermaßen schlecht, dass wir uns entschiedene Schritte gegen den Stifter dieses Untrunks und eine allgemeine Terrorwarnung vorbehalten!
„Das alte Jahr zu Ende geht/das Neue kommt, schlag zu, Prolet!“ Die brennende Lunte von Feuerwerkskörpern nicht zu lange in den zitternden Händen zu halten, empfiehlt
Ulrich „Nitro“ Reineking
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