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Archiv-Artikel

unterm tiergarten Die Spielzeugpiste für ein paar Dutzend Blechkisten

Gegner des Tiergartentunnels gibt es viele. Da sind die Hauptstadtnörgler, die alles, was nach Glamour und Moderne aussieht, in den Grund und Boden ihres Kiezes stampfen. Radler und öffentliche Nahverkehrer sind darunter, die ein Automobil seit dem späten Auszug aus dem Hotel Mama nicht mehr von innen gesehen haben. Und natürlich die Grünen. Ihr Leitspruch lautet: „Wer Straßen sät, erntet Verkehr.“ Getreu der Devise hat die grüne Verkehrspolitikerin Claudia Hämmerling nach der Eröffnung des Tiergartentunnels am Sonntag prophezeit: „Das gibt den Dauerstau.“

So ein Unsinn. Im gestrigen Praxistest zeigte sich: Der Tunnel ist so leistungsfähig wie die Ostseeautobahn durch das schrumpfende Vorpommern. Eine 2,4 Kilometer lange Spielzeugpiste für ein paar Dutzend Blechkisten. Das war’s. Eine Blechlawine sieht jedenfalls anders aus. Und das liegt nicht nur am ADAC, der seine Anhänger noch am Wochenende davor gewarnt hatte, sogleich zu „Schnupperfahrten“ aufzubrechen.

Nach der Erstbefahrung stellt sich damit die ganz andere Frage: Wenn schon die Haupstadtnörgler, Radler, BVG-Ideologen und Grünen keinen Tiergartentunnel brauchen, wofür brauchen ihn dann die Autofahrer?

Die Antwort lautet: Sie brauchen ihn nicht. Zumindest die meisten. Alleine die Verringerung der Fahrspuren an den beiden Tunnelenden Reichpietschufer und Heidestraße von vier auf zwei zeigt: Der 390 Millionen Euro teure Bau ist keine Durchgangsverbindung, sondern ein Zubringer – für den Potsdamer Platz und den neuen Hauptbahnhof.

Wer von Kreuzberg aus ab Mai den Opa vom Bahnhof abholt, rauscht die Kanaluferstraße lang, dann ab in die Röhre und raus am Hauptbahnhof. Umgekehrt können die Weddinger jetzt auch mit dem Auto bei Aldi am Potsdamer Platz einkaufen. So gesehen hätten eigentlich nicht der Bund und das Land für den teuren Luxus aufkommen müssen, sondern Herr Mehdorn und die Vorstände von DaimlerChrysler und Sony.

Als Nord-Süd-Verbindung taugt der Tunnel dagegen nur für Westberlin-Romantiker. Die mussten nämlich schon zu Mauerzeiten um die Hauptstadt der DDR herumfahren, wenn sie sich vom trüben Reinickendorf ins Kreuzberger Autonomenleben stürzen wollten. Jetzt ist die Strecke dieselbe: nur dass es von der Heidestraße nicht mehr über den Kemperplatz geht, sondern unter ihm hindurch.

Hört, hört, werden da die Tunnelplaner von Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer einwenden: Der Tunnel ist auch eine Alternative zu den Nord-Süd-Nadelöhren im Bezirk Mitte. Stimmt. Aber diese Nadelöhre sind hausgemacht – wie an der Friedrichstraße und Chausseestraße – oder aber der großen Politik geschuldet wie bei der Sperrung der Wilhelmstraße auf Höhe der britischen Botschaft. Ginge es nach dem Verursacherprinzip, müssten also nicht nur Bahn, Daimler und Sony den Tunnel bezahlen, sondern auch der britische Botschafter Sir Peter Tory.

Aber wir wollen hier ja nicht nörgeln oder BVG fahren, sondern auch loben. Bitte: Der Tunnel ist elegant, die Kurven nicht zu eng und nicht zu weit, das Licht nicht zu grell und nicht zu schummrig, und selbst die Software funktioniert. Jedenfalls größtenteils. An einer Stelle zeigte die automatische Verkehrsführung Tempo 30 – wegen Staugefahr. Wie ein paar Dutzend Autos auf 2,4 Kilometern Tunnelstrecke eine Blechlawine verursachen sollen, bleibt das Geheimnis der Softwareprogrammierer. Oder war das etwa ein Zugeständnis der Verkehrssenatorin an den möglichen Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen?

Sollte Junge-Reyer dagegen der CDU ein Zugeständnis machen wollen, wäre der Tiergartentunnel schon nicht schlecht. Wenn nämlich erst die Westtangente gebaut wäre, wäre das Tunnelvergnügen kein unnützes Spielzeug mehr. Dann machte er richtig Sinn – als fortgesetzter Beitrag Berlins zur autogerechten Stadt. UWE RADA