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Engel der Geschichte: Zum ersten Mal sollen in 20 Bänden die Werke von Walter Benjamin in einer Kritischen Gesamtausgabe bei Suhrkamp erscheinen. Das kündigten gestern die den Nachlass Benjamins betreuende Berliner Akademie der Künste und Jan Philipp Reemtsma an. Dabei wurden gleichzeitig erstmals Teile des Benjamin-Archivs der Öffentlichkeit vorgestellt. Reemtsma unterstützt mit seiner Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur die Gesamtausgabe.
Die Edition wird sich über einen Gesamtzeitraum von etwa zehn Jahren erstrecken. Der erste Band mit den Jugendschriften soll im Herbst 2006 oder im Frühjahr 2007 erscheinen und danach folgen pro Jahr zwei Bände. Unter anderem sollen die zu Lebzeiten gedruckten Bücher in je einem eigenen Band veröffentlicht werden, der zudem alle Fassungen des jeweiligen Werks integral im Textteil enthält. Das betrifft vor allem die handschriftliche Fassung des „Ursprungs des deutschen Trauerspiels“, die verschiedenen Fassungen der „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ und die Stücke, die Benjamin in einer „Nachtragsliste zur Einbahnstraße“ für eine Neuauflage vorgesehen hatte.
Jeder Band bietet, wie bei kritischen Ausgaben üblich, einen Apparatteil, der über die Entstehungs- und Publikationsgeschichte, die Überlieferungsträger und die Begründung der Reihenfolge der abgedruckten Texte informiert. Ausdrücklich betonen die Herausgeber Christoph Gödde und Henri Lonitz, dass die historische Gestalt der Texte respektiert werde. Es werde keine Modernisierungen und Normierungen der Orthografie geben, ebenso nicht in Benjamins Interpunktion eingegriffen.
Der Leiter des Benjamin-Archivs und auch gleich des Brecht-Archivs der Akademie, Erdmut Wizisla, meinte, die Rettung des Nachlasses sei „trotz jeder geschichtlichen Logik der kollektiven Leistung der Gefährten Benjamins“ zu verdanken. Berliner Nachlassteile seien allerdings bis heute verschollen. „Es ist eine abenteuerliche Geschichte, die die politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts spiegelt.“ Die Rettung des Nachlasses sei „eine der dramatischsten Archivgeschichten des 20. Jahrhunderts“. Im Jahr 2006 ist in Berlin eine Konferenz und eine erste umfassende Ausstellung zum Benjamin-Nachlass geplant.
Das Archiv wurde erst vor kurzem in Berlin eingerichtet und vereint die „verzettelte Produktion“ des 1892 in Berlin geborenen Schriftstellers und Philosophen, der sich auf der Flucht vor der Gestapo 1940 in den Pyrenäen das Leben nahm.